Russlands Syrien-Politik: Nationale Egoismen

Ent-täuscht kann man regelmäßig nur sein, wenn man sich zuvor hat täuschen lassen. Nur konsequente Romantiker lassen sich noch von der Vorstellung leiten, der Universalanspruch elementarer Menschenrechte zwinge die Menschheit qua Vernunft dazu, diese auch global zur Geltung zu bringen.

Längst ist empirisch bewiesen, dass universell nur ein Prinzip gilt: das Verfolgen unmittelbarer eigener Interessen. Insofern kann das Verhalten Russlands und Chinas in der Syrien-Frage nicht überraschen. Deren Politik fußt allein auf kurz- und mittelfristigen nationalen Egoismen. Und wenn wir ehrlich sind, dann sind solche stets auch die Grundlage für die Außenpolitik demokratischer Staaten, die Menschenrechte in ihren Verfassungen ausbuchstabiert haben.

Oder wie anders ist beispielsweise zu erklären, dass eine Bundeskanzlerin nicht laut aufschreit, wenn ihr bei einem Peking-Besuch die Zusammenkunft mit Regierungskritikern verweigert wird? Die Angst vor kurzfristig wirksamen wirtschaftlichen Nachteilen für Deutschland hinderte sie wohl daran.

Ist das nun eine Entschuldigung für das Veto Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat, das die syrische Opposition prompt als "Lizenz zum Töten" für das Regime Baschar al-Assads bezeichnete? Natürlich nicht. Aber es ist eine Erklärung.

Dass die chinesische Regierung den arabischen Aufstand mit größtem Unbehagen verfolgt, weil jeder Regimewechsel ja auch einen Präzedenzfall darstellt, der das eigene undemokratische System destabilisieren könnte, liegt auf der Hand. Die Solidarisierung mit Diktatoren erfolgt hier schon beinahe reflexhaft. Spannender ist da schon das von einem "lupenreinen Demokraten" regierte Russland, wie es ein früherer Bundeskanzler mal unfreiwillig komisch ausdrückte.

Für Moskau ist Syrien weniger von wirtschaftlicher als von geopolitischer Bedeutung. In der Mittelmeerstadt Tartus verfügt der Kreml über einen wichtigen Marinestützpunkt. Assad ist der einzige verbliebene Verbündete in der Region. Zudem will sich Russland nicht noch einmal vom Westen überrollen lassen, wie es im Falle Libyen geschah. Die aktive Unterstützung der Gaddafi-Rebellen durch die Nato war - vorsichtig formuliert - eine Überdehnung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Libyen-Resolution.

Assad hat bessere Karten als Gaddafi, nicht nur wegen der fehlenden Resolution. Die syrische Opposition ist längst nicht so schlagfertig; die hochrangigen Offiziere in der syrischen Armee stehen zu Assad; dieser verfügt insgesamt über mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Aber: Ein Machthaber, der jeden Tag Menschen in seinem Land ermordet, hat keine Zukunft. Er wird scheitern. Und mit ihm scheitert dann auch die russische Interessenpolitik. Hoffentlich wird das den Falken im Kreml klar, bevor sie der Lauf der Geschichte ent-täuscht.

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