Kommentar Solwarworld - Sonnenanbeter

So etwas erlebt man normalerweise auf Hauptversammlungen nicht: Das Management hat die Firma an den Rand der Pleite manövriert, die Aktionäre sollen ihre eigene Enteignung beschließen, und der Vorstandschef erhält für seine Redebeiträge Szenenapplaus.

Bei Solarworld erinnerte gestern manches eher an ein Sektentreffen als an eine Aktionärsversammlung eines börsennotierten Unternehmens. Nach dem Motto: Der Glaube an die gute Sache muss nur stark genug sein, dann wird das Geld auf einmal weniger wichtig. Die Milliardenverluste - vielleicht sogar notwendige Opfer auf dem Weg in die ökologische Energiezukunft.

Wer zahlt denn nicht bereitwillig für die Energiewende? Und ist es dann so schlimm, als Solarworld-Aktionär mit gutem Gewissen noch etwas mehr dafür zu leisten? Wer so denkt, für den relativieren sich auch Aktien-Kursverluste von 90 Prozent und mehr. Und einige Aktionäre schienen gestern tatsächlich derart getröstet.

Sonnengott Frank Asbeck bewies sich wieder einmal als Meister der Inszenierung. Von Selbstkritik war fast nichts zu spüren. Solarworld am Rand der Pleite - Schuld allein die Chinesen. Der Kapitalschnitt - Aktionär, friss oder stirb. Kurswechsel? Kommt nicht in Frage. Solarworld soll ein voll integriertes Unternehmen bleiben, das vom Silizium bis zum fertigen Solarsystem alles selbst unter Kontrolle behält, bekräftigte Asbeck.

Im vergangenen Jahr machten die Bonner mit diesem Geschäftsmodell immerhin fast eine halbe Milliarde Euro Verlust. Das Minus schrumpft in diesem Jahr zwar nach und nach, noch immer aber verbrennt Solarworld Monat für Monat Geld. Doch die Kritik der Aktionärsschützer blieb verhalten.

Die Firma gegen die Wand gefahren, aber selbst als unumstrittener Chef an Bord bleiben - auch da liefert Asbeck ein Kunststück ab, das nicht vielen gelingt. Die neuen Investoren aus Katar hätten sogar zur Voraussetzung für ihr Engagement gemacht, dass Asbeck weitermache und sich mit eigenem Kapital beteilige, ließ Aufsichtsratschef Claus Recktenwald durchblicken. Unter anderem deshalb bekomme Asbeck seinen Anteil an der neuen Solarworld auch zur Hälfte des Preises, den Katar bezahlt ...

Keine Frage - Asbeck und seine Mannschaft haben in der Krise unternehmerisches Ausnahmetalent bewiesen. Binnen weniger Monate schaffte es Finanzchef Philipp Koecke, Dutzende Gläubiger unterschiedlichster Lager unter einen Hut zu bringen und ihnen weit mehr als eine halbe Milliarde Euro abzuringen. Ein Meisterstück.

Während in den vergangenen Monaten zahlreiche deutsche Solarkonzerne vor dem Insolvenzrichter landeten, konnte Solarworld als einer der ganz wenigen den Kopf noch aus den Schlinge ziehen.

Mit unkonventionellen Methoden zum Ziel - Solarworld-Chef Frank Asbeck hat es geschafft. Geschickt spielt er immer wieder die Emotionen aus, schafft es, seine Solargemeinde zu begeistern. Ob sein Geschäftsmodell nachhaltig ist, muss er erst noch beweisen. In der Antike gab es schon einmal eine Zeit der Sonnenanbetung. Die währte aber nicht ewig.

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