Kommentar SPD - Das alte Lied

Natürlich ist die Lage der SPD armselig. Die Umfragekurven gleichen dem EKG eines Toten, bleiben bleischwer um die 25 Prozent liegen. Die Basis ist lustlos, die Führung ideenlos, und Machtperspektiven sind der Partei auf Bundesebene längst abhanden gekommen.

Das alles ist für aufrechte Sozialdemokraten so schwer zu ertragen, dass der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig schon auf die Idee gekommen ist, bei den kommenden Bundestagswahlen auf die Nominierung eines SPD-Kanzlerkandidaten ganz zu verzichten. Politmedizinisch gesehen ein schwerer Fall parteipolitischer Autoaggressivität.

Aber der SPD ist viel mehr abhanden gekommen als Machtperspektiven. Vergleicht man die heutige Lage mit der besten bundesrepublikanischen Zeit der Partei, fällt auf, was vor allem verloren gegangen ist: die gesellschaftliche Hegemonie, das feste Vertrauen darauf, dass der Trend ein Genosse ist. Mit uns zieht die neue Zeit? Das ist nur noch ein altes Parteilied.

Verloren gegangen ist noch mehr. Das eigentliche Instrument sozialdemokratischer Politik verflüchtigt sich: der Staat, genauer der Nationalstaat. Die Wucht der Globalisierung macht nationale Politik wehrlos. Über-nationalstaatliche Institutionen haben aber noch nicht die Kraft, auch noch nicht die Legitimation und Unterstützung der Bürger, um dem weltweiten Agieren mächtiger Wirtschaftssubjekte Regeln zu setzen. Liberale und Konservative können das mit gewissem Gleichmut ertragen.

Sie glauben stärker an die selbstregulierenden Kräfte der Märkte. Sozialdemokraten dagegen leiden, denn ihnen gehen die Stellschrauben verloren, um einwirken zu können.

Das alles addiert sich zur Tristesse von heute und führt zu einer Partei, die ihr Selbstbewusstsein verloren hat. Ein Prozess, der zurückgeht auf die sozialdemokratische Urfrustration der Schröderschen Agenda-Politik. Die Partei hat sich nie zu einer wirklichen Haltung in dieser Frage durchgerungen: Fehler oder Verdienst?

Den politischen Gegnern kann das nur auf den ersten Blick recht sein. Aber einer Gesellschaft kann es langfristig nicht gut tun, wenn eine Volkspartei so antriebslos wird. Demokratie braucht einen engagierten Streit um Grundsatzfragen.

Für die SPD heißt das: Sie muss den Mut finden, wieder große gesellschaftliche Debatten loszutreten. Nicht darüber, mit welchem Formular der Mindestlohn kontrolliert werden kann. Aber darüber, ob sich die reichste europäische Volkswirtschaft einen ausgedehnten Niedriglohnsektor leisten soll.

Oder ob es richtig ist, dass hohe Vermögen ziemlich billig vererbt werden können, während Straßen, Schulen und Kindergärten in oft lamentablen Zuständen sind. Oder ob die EU nicht mutig voran gehen muss in Richtung einer auch (wirtschafts-)politisch starken Union.

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