Kommentar Stress im Berufsleben - Der Preis des Erfolgs

Die Griechen werden schmunzeln: Das habt ihr nun davon - und die Binsenwahrheit "Alles hat seinen Preis" bemühen. Es gibt zahlreiche Studien, die unterfüttern den "Stress-Report 2012".

Dass in einer wirtschaftlich erfolgreichen Gesellschaft die Menschen eher hetzen als eilen, dass ihr Alltag zwischen Kindergarten, Job und Familie auf die Minute durchgetaktet ist, dass der einzelne Homo Oeconomicus Geldvermehrer und Stress-Empfinder ist - das alles ist seit Jahrzehnten er- und gelebter Alltag in einer Industriegesellschaft. So sehr, dass der Satz "Ich habe Stress" längst auch zur Grundausstattung individueller Statussymbole gehört, denn umgekehrt wird assoziiert: viel Zeit, wenig Geld.

Das Wort mit der diffusen Bedeutung kam schon 1936 durch Tierforscher in die Welt. Später übernahmen Materialkundler den Begriff: Wenn sich ein Werkstoff durch eine äußere Kraft verbiegt, anspannt oder verzerrt, herrscht Stress im Material.

Nun spürt der Mensch verstärkt das unsichtbare Phänomen und beschreibt damit mehr oder weniger Bedrohungsszenarien am Arbeitsplatz: Angst vor Überforderung, das Gefühl, das Pensum nicht zu schaffen oder alles nur lauwarm und nichts gründlich erledigen zu können.

Wer genau hinschaut, erkennt, dass nicht die Leistungsbereitschaft abgenommen, sondern - unterschiedlichste - Anforderungen zugenommen haben. Der Hang zu mehr Rendite durch mehr Effizienz hat die Versprechen der diversen Zeitspargeräte eins zu eins übernommen.

Hier Festnetz, dort Handy, zwischendurch das Mail-Stakkato und für unterwegs die mobile Blackberry-Dauerpräsenz: Irgendwo klingelt es immer. Ausschalten ist verboten, und keiner kümmert sich um Schonräume für klare Gedanken. Multitasking hilft da auch nicht. Hier resultiert der Stress aus der Gleichzeitigkeit der Ansprachen, dort aus immer mehr Handgriffen - zum Beispiel verteilten Paketen - pro Zeiteinheit.

Dem Stress-Report folgt sicherlich bald der Burn-out-Report. Seit Jahren wächst der Anteil psychiatrischer Diagnosen bei der Frühverrentung. Die Menschen blicken fragend in den Spiegel, zudem in ungleichen Gesellschaften fragender als in gleichen mit weniger Einkommensgefälle.

Da passt es, dass jetzt auch die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages nach langem Nachdenken die Revolution ausgerufen hat: Das Bruttoinlandsprodukt soll nicht mehr der einzige Gradmesser sein, um den Wohlstand der Bürger zu messen. Umwelt, Bildung, Gesundheit und vieles mehr sollen dazukommen. Indes bleibt weiter gültig: Materieller Wohlstand macht nicht unglücklich und über 60 000 Euro netto im Jahr, so eine US-Studie, auch nicht zufriedener. Wer mehr verdient, empfindet weder mehr Glück noch weniger Stress.

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