Kommentar Syrien und der Libanon - Pulverfass

Es war eine Autobombe, deren politische Druckwelle den ganzen Libanon und dessen Nachbarn zum Beben bringt. Als der Sprengstoff hochging und den libanesischen Geheimdienstchef Wissam al-Hassan in Stücke riss, war schnell klar, dass die Folgen dieses Anschlages das Potential haben, die ohnehin instabile Lage in der Region vollends außer Kontrolle geraten zu lassen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein solches Attentat im Libanon unaufgeklärt bleibt. Aber hier steckt der Zündstoff nicht in den bisher unbekannten Fakten rund um den Anschlag, sondern in der Wahrnehmung. Es gibt kein Bekennerschreiben, es gibt bisher auch noch keinerlei Beweise, wer dahintersteckt, doch bei der Motivsuche deutet vieles in Richtung Syrien.

Geheimdienstchef al-Hassan hatte im Sommer eine Untersuchung geleitet, die zur Verhaftung des prosyrischen Informationsministers Michel Samaha geführt hatte, dem vorgeworfen wird, im Auftrag des Regimes in Damaskus Sprengstoff in den Libanon geschmuggelt zu haben.

Der Anschlag könnte also eine Racheaktion sein. Aber das ist nur ein Kratzen an der Oberfläche. Möglich ist auch, dass das Attentat eine Botschaft aus Damaskus ist, die da lautet: "Das syrische Regime kann den Libanon jederzeit über Nacht anzünden, wenn es sich zu sehr in die Ecke gedrängt fühlt." Eine Art Warnung: Wenn das syrische Regime stürzt, dann reißt es den Libanon mit.

Das dritte Motiv für Baschar Assad wäre ein klassischer taktischer Zug. Seit Monaten herrscht zwischen dem Regime und den Aufständischen in Syrien eine Pattsituation. Das Regime kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen, und die Aufständischen schaffen es nicht, die Autokraten in Damaskus zu stürzen.

Assad könnte in einer Eskalation einen Ausweg sehen. Indem er mehr und diesmal im Libanon zündelt, gäbe er dem Syrienkonflikt mehr regionale und internationale Dringlichkeit, das Ganze schnell und nicht ohne, sondern mit dem Regime zu lösen

Für den Libanon selbst könnte das Ganze verheerende Folgen haben. Je blutiger der Konflikt im benachbarten Syrien wird, desto bedrohlicher hängt über dem Libanon das Damoklesschwert eines Bürgerkrieges. Denn die politischen und konfessionellen Konstellationen sind in beiden Ländern ähnlich.

Das syrische Regime und das im Libanon demokratisch gewählte von der Hisbollah dominierte Regierungsbündnis ziehen ebenso an einem Strang wie die syrischen Aufständischen und die libanesische Opposition.

Als einziger beruhigender Faktor wirkt die Erinnerung eines Gutteils der Libanesen an den 15 Jahre andauernden eigenen blutigen Bürgerkrieg - eine Erfahrung, die viele nicht wiederholen wollen. Es ist die derzeit einzige Hoffnung, dass sich die Libanesen diesmal nicht in den Strudel hineinreißen lassen.

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