Kommentar Tag der Arbeit - Neue Stoßrichtung

Der 1. Mai ähnelt heute eher einem vorsommerlichen Ferientag als einem Tag der politischen Aktion. Für die meisten Deutschen sind die Kundgebungen der Gewerkschaften bedeutungslose Rituale, allenfalls greifen sie für ihre Kinder Luftballons mit Ver.di-Emblem ab.

Dies auf allgemeines Desinteresse an gewerkschaftlicher Organisation zurückzuführen, wäre aber falsch. Einige der im Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossenen Organisationen haben zuletzt den jahrelangen Mitgliederschwund umkehren können. Die IG Metall zieht in diesen Tagen mit einer Forderung nach stolzen 6,5 Prozent mehr Lohn in den Arbeitskampf.

Auch in NRW soll es diese Woche Warnstreiks bei Autobauern geben. Nachdem die schwere Rezession überwunden ist, sollen die Unternehmen wieder mehr von ihren Gewinnen abgeben. Selbst die im öffentlichen Dienst Beschäftigten konnten den klammen Kommunen im März ein reales Plus abhandeln.

Der Beschäftigungsaufbau der vergangenen Jahre straft den Satz Lügen, den Industriestaaten gehe wegen der fortschreitenden Automatisierung die Arbeit aus. Vor allem in Deutschland hat die Flexibilität der Gewerkschaften dazu beigetragen, dass sich das produzierende Gewerbe im Land halten konnte. Gleichzeitig aber wurden Hunderttausende neue Arbeitsplätze bei den Dienstleistungen geschaffen.

Pflegekräfte, Erzieher, IT-Berater - in diesen Bereichen werden auch in Zukunft Arbeitskräfte gesucht. Gerade diese Beschäftigten sind jedoch immer weniger in einer Gewerkschaft organisiert. Ver.di, einst die größte Gewerkschaft weltweit, hat diesen Platz an die IG Metall verloren, sie erlebt einen massiven Mitgliederschwund. Dabei sind auch die kleinen Berufsgewerkschaften wie der Marburger Bund oder die Vereinigung Cockpit zur unliebsamen Konkurrenz geworden.

Die Frage ist, ob Ver.di besser führe, wenn die Dienstleistungsgewerkschaft nicht vornehmlich auf Themen wie Mindestlohn, Zeitarbeit und Rente mit 67 setzen würde. Der Mindestlohn berührt zwar unser aller Gerechtigkeitsempfinden, betrifft aber nur eine Minderheit der Beschäftigten und verhindert nicht, dass mehrköpfige Haushalte auf Hartz IV angewiesen sind.

Fehlentwicklungen in der Zeitarbeit müssen tariflich oder gesetzlich verhindert werden. Die Leiharbeit insgesamt an den Pranger zu stellen, ist hingegen falsch. Sie ist für Geringqualifizierte oft die einzige Chance, einen regulären Arbeitsplatz zu finden. Und sie ist für Unternehmen ein Instrument, um flexibel auf die Auftragslage reagieren zu können.

Eine wichtige Aufgabe wäre etwa, auf die wachsende Rolle des Internets und moderner Kommunikationswege in der Arbeitswelt zu reagieren. Mit den Themen Urheberrecht und Internet sind die Piraten in eine Lücke gestoßen. Auch das ist zu bedenken am 1. Mai.

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