Tag der Deutschen Einheit

Aufbau Ost, Abbau West

Kein Klischee ist zu billig, um nicht auch im Jahr 19 der deutschen Einheit herhalten zu müssen, um Vorurteile zu beleben. Wo fangen auf der Autobahn in Deutschland die Schlaglöcher an? Klar: wenn man von Ost- nach Westdeutschland kommt. Wo verfallen die Altstädte? Natürlich im Westen. Wo wird weniger gearbeitet und mehr von Sozialleistungen gelebt?

Im Osten, wo denn sonst. Fast zwei Jahrzehnte nach der Einheit ist Deutschland zusammengewachsen, aber das Gefühl, dass da zusammengewachsen ist, was auch zusammengehört, ist nicht Allgemeingut.

Das hat natürlich Gründe. In diesen beinahe zwei Jahrzehnten ist Unglaubliches an Aufbauarbeit geleistet worden. Schwer vorstellbar, wo die alte Bundesrepublik Deutschland stünde, wenn sie diesen Aufbau Ost (mit den Menschen in der früheren DDR) nicht geleistet hätte.

Und dass es nicht immer gut angelegtes Geld war, was da investiert wurde, streitet ohnehin niemand mehr ab. Doch obwohl dieser Kraftakt noch anhält, hat er nicht ausgereicht: Viele im Osten fühlen sich weiter benachteiligt, die Arbeitslosigkeit ist dort doppelt so hoch wie im Westen, das Bruttoinlandsprodukt erreicht mal gerade zwei Drittel des Westniveaus. Wundert es da jemanden, dass Unzufriedenheit regiert?

Genau die macht sich aber auch im Westen immer mehr breit, denn hier gibt es mittlerweile tatsächlich einen Sanierungsstau bei Straßen, in den Städten. So wie manche Ruhrgebietsstadt froh über die Milliarden wären, die nach dem Bonn-Berlin-Beschluss ins Rheinland geflossen sind, so froh wären alle Städte im Westen, wenn sie die Förderung hätten, die der Osten immer noch hat.

Wenn der Aufbau Ost also noch Jahrzehnte anhalten wird, wird der Aufbau West um so dringlicher, damit nicht wieder auseinanderbricht, was gerade zusammengewachsen ist. Denn dass das so ist, kann man ernsthaft nicht bestreiten. In Berlin muss man den Verlauf der Mauer mit der Lupe suchen. Es war wahrscheinlich ein Fehler, sie der Nachwelt nicht in größeren Abschnitten zur Erinnerung zu erhalten.

Nicht wenige, die den Freitag zusammen mit diesem Wochenende zum "Brückenbau" benutzen, um im anderen Teil Deutschlands Kurzferien zu verbringen. Und dass ein sächselnder Michi Ballack Deutschlands Fußballwelt in diesem Jahr wieder einmal geeint hat, ist ohnehin klar.

Dennoch es fehlt. Es fehlt an den einheitlichen Lebensverhältnissen und es fehlt am Einheitsgeist. Den kann man nicht in Feiertagsreden, wie Freitag in Hamburg, herbeibeschwören, den kann man nur leben. Vielleicht am besten mit einem Blick in die Gegenden dieser Erde, die die wirklich großen Probleme haben.

Etwa auf dem immer noch unruhigen Balkan, etwa in Afrika, etwa dort, wo Freiheit immer noch ein Fremdwort ist.

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