Kommentar Tag der Einheit - Alle Jahre wieder

Zu behaupten, der 3. Oktober habe sich in den Köpfen oder gar Herzen der Deutschen festgesetzt, ginge zu weit. Der Tag der deutschen Einheit ist ein Feiertag - keine Frage. Aber er ist ein willkürlich gewählter Tag.

Es ist nicht der Tag des Mauerfalls, also der 9. November, nicht der Tag des Protestes, der 17. Juni, an dem bis 1990 der Tag der Einheit begangen wurde. Das heißt: Das Datum fördert nicht die emotionale Bindung, so wenig übrigens wie das jährliche Einheitsfest, das immer von einem anderen Bundesland ausgerichtet wird, einem Staffellauf durch deutsche Lande nicht unähnlich.

Dennoch haben die Deutschen auch 23 Jahre danach allen Anlass zu feiern. Die Ostdeutschen, weil sie in einer nicht für möglich gehaltenen friedlichen Revolution eine Diktatur samt der sie umgebenden Mauer zum Einsturz brachten. Alle Deutschen, weil sie in Freiheit wieder vereint sind. Doch diese Freiheit ist schnell konsumiert worden, da mache man sich nichts vor.

Deshalb ist es wichtig, sich an den Mut der Menschen in Ost-Berlin und anderen Städten der DDR zu erinnern, wie er etwa in der Gethsemane-Kirche in Ost-Berlin eindrucksvoll dokumentiert ist. Wer sich diese Details aus dem Herbst 1989 in Erinnerung ruft, ermisst auch ganz anders, wie groß und umfassend der Wandel ist.

Für viele Menschen ist er dennoch heute vor allem ein Wohlstandswandel. "Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr", war ja nicht ohne Grund ein Hauptslogan der Demonstranten. Und was diese wirtschaftliche Entwicklung betrifft, sind die Unterschiede zwischen Ost und West auch nach mehr als zwei Jahrzehnten nicht eingeebnet.

Das macht sich auch im Urteil der Bürger sehr deutlich bemerkbar. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hält zum Jahrestag etwa fest, dass sich 27 Prozent der unter 65-Jährigen im Osten Sorgen um ihren Lebensunterhalt im Alter machen, fast doppelt so viel wie im Westen. Deshalb wird auch die Notwendigkeit des "Soli" ganz anders gesehen: 64 Prozent im Westen wollen ihn abschaffen, nur 20 Prozent im Osten.

Das heißt: Das vielfach propagierte Ende des Ost-West-Gegensatzes ist noch nicht erreicht, allen Milliardenhilfen, Autobahnneubauten und Forschungspalästen im Osten zum Trotz. Die Renten sind nicht angeglichen, die Löhne nicht. Aber die Tendenz ist eindeutig: Es geht aufwärts. Wiewohl nicht in allen Punkten.

Es gibt stärker als im Westen das Stadt-Land-Gefälle, es gibt beinahe entvölkerte Regionen ohne junge Menschen, ohne Arbeitsplätze und - auch das gehört zur Wahrheit - mit harten rechtsradikalen Kernen. Und es gibt leider immer mehr Erinnerungslücken. So ist es ein gravierender Fehler gewesen, die Mauer in Berlin so radikal zu schleifen, wie man es getan hat. Aber unterm Strich bleibt: Es wächst tatsächlich zusammen, was zusammengehört.

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