Kommentar Terror im Nahen Osten - Die Herausforderung

Kairo · Es war nicht einfach eine neue Serie von Anschlägen militanter Islamisten gegen die ägyptische Armee im Sinai. Was vor wenigen Tagen im Nordsinai geschah, hat eine neue Qualität, die für Ägypten nichts Gutes verheißt.

Anstatt wie üblich bei Militärkontrollpunkten und Polizeistationen zuzuschlagen und sich dann schnell wieder zurückzuziehen, lieferten sich die Militanten stundenlange Schlachten mit dem Militär. Zeitweise übernahmen die Dschihadisten der "Provinz Sinai", die dem IS die Treue geschworen haben, auch mit Scheich Zuwaid fast eine ganze Ortschaft. Die Armee musste so ihr ganzes Arsenal aufbieten, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Dass sie dabei sogar mit F-16 Kampfflugzeugen im eigenen Land bombardierte, zeigt, dass sie zeitweise die Lage am Boden nicht mehr im Griff hatte, und es zeigt auch, dass sie selbst teilweise zögerte, Kampfhubschrauber einzusetzen, weil die andere Seite ebenfalls gut gerüstet war.

In zwei Jahren ist es der Armee und Präsident Abdel Fatah El-Sisi nicht gelungen, die Lage im Nordsinai zu befrieden. Im Gegenteil, der dortige Kleinkrieg eskaliert. Gut trainierte und gut gerüstete Dschihadisten, die teilweise die Unterstützung der lokalen beduinischen Bevölkerung genießen, machen der Armee das Leben dort immer schwerer.

Die Dschihadisten operieren im Namen des IS. Nicht deren Staatsgebiet und Kalifat vergrößert sich, aber deren Operationsgebiet, in dem sich ihr immer mehr militante Gruppierungen anschließen, zum Vorteil beider Seiten. Die lokalen Gruppierungen, die dem IS die Treue schwören, erhöhen damit ihr internationales Dschihad-Image, und der IS eröffnet damit immer mehr Zweigstellen. Insofern können die koordinierten Angriffe der Dschihadisten im Nordsinai und die bisher längste Schlacht mit der ägyptischen Armee seit dem 1973er Krieg mit Israel als ein Teil der IS-Ramadan-Offensive angesehen werden. Die Offensive kann in einem Atemzug genannt werden mit dem Anschlag am Strand in Tunesien, dem Bombenanschlag auf eine schiitische Moschee und dem Versuch, die syrisch-kurdische Stadt Kobane zurückzuerobern. Die Botschaft ist klar und deutlich. Der IS kann überall zuschlagen.

Mit größter Sorge ist zu beobachten, wie sich der IS allerorten in der arabischen Welt ausbreitet. In jedem Fall müssen die herausgeforderten Länder sich dem IS mit militärischen Mitteln entgegenstellen. Besiegt werden kann er aber erst, wenn die Bedingungen verändert werden, die zu seiner Entstehung beigetragen haben: Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Indoktrination durch staatsreligiöse Regime wie Saudi-Arabien. Die zahlreichen arabischen Widersprüche aufzulösen, ist dabei keine militärische, sondern eine politische Aufgabe, der bislang keines der arabischen Regime und Regierungen derzeit gewachsen ist.

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