Kommentar Terrorismus und der Debatte um Sicherheit - Extreme meiden

Bonn · Das Terrorziel, ein Radrennen direkt vor der Haustür, die Bomben-Bastelwerkstatt im Keller eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses, die Zutaten für den Sprengsatz aus dem Baumarkt nebenan, die mutmaßlichen Täter ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern, der Ehemann in Deutschland geboren und aufgewachsen: Ist der Terror jetzt in unserem Alltag angekommen? Leben die Terroristen mitten unter uns?

Der erste Eindruck täuscht, denn auch in diesem Fall war die Polizei glücklicherweise schneller, weil die Familie bereits aufgefallen war. Die Anschlagsvorbereitung verrät überdies einen gewissen Dilettantismus, der die Sache indes nicht harmloser macht. Anders ausgedrückt: Auch der islamistische Terror lässt sich eingrenzen, wenn sich die Sicherheitskräfte mit den Akteuren der Szene, den gesellschaftlichen Strukturen im Hintergrund und einschlägigen Verhaltensweisen beschäftigen. Gut, dass die Polizei richtig reagierte. Auch eine offene und freie Gesellschaft ist dem Terrorismus nicht schutzlos ausgeliefert. Polizeiarbeit hilft, Anschläge zu vermeiden.

Die Frühwarnmechanismen funktionierten auch, weil eine ganz normale Verkäuferin bemerkte, dass etwas mit ihren Kunden nicht stimmte, die Chemikalien kauften. Viele Menschen in Deutschland sind inzwischen wachsam und keineswegs gleichgültig. Sie wissen um die Gefahr, die es zweifellos gibt. Sie wissen auch, dass diese freie Gesellschaft sich nicht von allein versteht, sondern Gegner hat.

Wachsamkeit ist gut, wenn sie ohne Aufregung oder gar Hysterie daherkommt, wenn sie Extreme meidet. Einer inzwischen selbstbewussten demokratischen Gesellschaft sollte das gelingen. Es wäre fatal für alle, wenn sich Terrorangst gegen jene wenden würde, die derzeit als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, oder die als Muslime hier schon vor Jahrzehnten mit ihren Familien eine neue Heimat gefunden haben und friedlich hier leben.

Das ist eine wichtige Zukunftsfrage, denn die Terrorgefahr bleibt, und es ist nicht gesagt, dass es der Polizei immer gelingen wird, die Täter vor einem Anschlag dingfest zu machen. Es wird daher auch beim Spannungsverhältnis zwischen den Freiheitsrechten der Bürger und den Notwendigkeiten der Polizeiarbeit bleiben. Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung zeigt das. Wenn die Gesellschaft ihren freien Lebensstil verteidigen will, dann muss auch an dieser Stelle immer wieder neu verhandelt werden, welche Kompromisse unvermeidbar sind.

Wichtig bleibt dabei, sich im Zweifelsfall für die Freiheit und gegen die Angst zu entscheiden. Auch wenn Deutschland hoffentlich von Anschlägen verschont bleibt, wird der politische Streit weitergehen. Es gehört zu einer selbstbewussten Demokratie, dass sie solche Spannungen aushält und nicht in Extreme verfällt.

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