Kommentar Türkei und Europa - Neuorientierung

Nach der Wahlschlappe für die AKP in der Türkei stehen mit der Bildung einer neuen Regierung auch außenpolitische Neuorientierungen an.

So könnte es im zuletzt sehr strapazierten Verhältnis zur EU Korrekturen geben, insbesondere wenn der ruppige Stil von Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht mehr wie bisher die verbindliche Marschroute darstellt. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass die Türkei über Nacht zu einem entschiedenen Reformkurs zurückkehrt.

Überzeugte EU-Anhänger sind selten geworden in Ankara. Aus europäischer Sicht ist das türkische Wahlergebnis eine positive Entwicklung, weil Brüssel mit der als arrogant und autoritär empfundenen Einparteienregierung der AKP zuletzt nicht mehr viel anfangen konnte.

Offiziell unterstützt die AKP das Ziel der türkischen EU-Bewerbung, das in der ersten Phase der Regierungszeit von Erdogan vor zehn Jahren zu den Prioritäten der Türkei gehörte. Doch im politischen Alltag passiert nicht mehr viel. Der Reformprozess ist nicht nur zum Stillstand gekommen, viele Reformen sind in jüngster Zeit wieder einkassiert worden, zum Beispiel durch ein neues Polizeigesetz mit erweiterten Befugnissen für die Sicherheitskräfte.

Bei den Beitrittsgesprächen in Brüssel tut sich schon lange nichts mehr. Das liegt zum einen daran, dass die türkische Bewerbung in der EU umstritten ist. Zum anderen hat Erdogan so viele EU-Politiker vor den Kopf gestoßen, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Präsidenten stark zurückgegangen ist. Kritik des EU-Parlaments wurde von Erdogan zuletzt mit der Bemerkung abgetan, Beschlüsse der europäischen Parlamentarier gingen bei ihm an einem Ohr hinein und am anderen wieder hinaus.

Angesichts der Kräfteverhältnisse im neuen Parlament wird Erdogan künftig jedoch nicht mehr ohne weiteres die Grundlinien der türkischen EU-Politik festlegen können. Die EU wird in der neuen Ära darauf achten, ob und wie schnell die von Erdogan und der AKP angerichteten Schäden am Rechtsstaat vom neuen Parlament und der neuen Regierung korrigiert werden und ob sich die Zustände in Sachen Meinungsfreiheit verbessern.

Tatsächlich gibt es nach der Wahl Hoffnung auf Verbesserungen auf diesen Feldern. Wenn die neue Regierung politisch stark ist, wird Erdogans Meinung nicht mehr so viel zählen wie bisher. Auch im Umfeld der AKP gibt es Forderungen nach einer Rückkehr zur Reformpolitik.

Experten warnen allerdings vor überzogenen Erwartungen. Fundamentale Änderungen in der Europapolitik dürfte es vorerst nicht geben. Im Falle einer Regierungsbeteiligung der Nationalistenpartei MHP zum Beispiel sind von der Türkei keine neuen Initiativen beim Thema Zypern oder anderen Streitpunkten zu erwarten. Ohnehin müssen die türkischen Parteien erst einmal klären, wie es in Ankara weitergehen soll.

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