Kommentar Überschüsse der Krankenkassen: Abzocke-Verdacht

Es ist schon lange her, dass Sozialpolitiker sich über einen unverhofften Geldsegen freuen durften. Meistens geht es darum, Löcher zu stopfen, doch nun streiten sich die Koalitionäre erstmals um die Frage: Wohin mit dem vielen Geld? Fast 20 Milliarden Euro haben sich beim Gesundheitsfonds und den gesetzlichen Krankenkassen angesammelt. Ein schöner Batzen, der Begehrlichkeiten weckt.

Bei näherer Betrachtung bleibt dann aber gar nicht so viel von den Überschüssen. Alles ist relativ: In Wirklichkeit haben die Kassen nicht einmal eine Monatsausgabe übrig. Die kluge Hausfrau hat bekanntlich immer etwas auf der hohen Kante, und so muss es auch die Krankenversicherung halten, schon rein gesetzlich. Spare in guten Zeiten, dann hast du in der Not - das Motto gilt auch für die Sozialversicherung.

Die Krankenkassen haben aus zwei Gründen relativen Spielraum: Erstens hatte die Koalition den allgemeinen Beitragssatz so großzügig festgelegt, dass bis ins Wahljahr 2013 bei den meisten Kassen kein Zusatzbeitrag fällig wird. Zweitens läuft die Konjunktur so gut, dass auch aus diesem Grund die Einnahmen kräftig fließen. Darüber hinaus unterstützt der Steuerzahler inzwischen die Kassen mit 14 Milliarden Euro jährlich. Der Zuschuss soll die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder finanzieren.

Es gibt einen gewichtigen Grund, warum die Beitragszahler tatsächlich entlastet werden sollten - Sparstrumpf hin oder her. In seiner Haushaltsplanung für 2013 und die Folgejahre will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Krankenkassen wieder um zwei Milliarden Euro erleichtern. Wenn aber der Bund seine Mittel kürzt, sollte auch der Beitragszahler profitieren.

Am sinnvollsten wäre es, der Gesetzgeber würde die Praxisgebühr wieder streichen, die die rot-grüne Koalition 2004 - in einem großen parteiübergreifenden Kompromiss - eingeführt hatte. Denn die zehn Euro, die jeder Patient pro Quartal bei seinem Arzt zahlen muss, hat die Arztkontakte nur vorübergehend reduziert.

Es ist doch so: Versicherte mit chronischen Erkrankungen müssen ohnehin zum Arzt, da lenkt die Praxisgebühr gar nichts. Und gesunde Versicherte, die Vorsorgeuntersuchungen machen lassen, haben diese Behandlung ohnehin kostenlos. Bleiben die, die sich die Praxisgebühr nicht leisten wollen oder können, weil sie zu wenig verdienen oder die Rente zu klein ist. Es wäre fahrlässig, wenn sie wegen der Praxisgebühr Krankheiten verschleppten. Bürokratisch ist die Abgabe obendrein. Die FDP hat Recht, wenn sie auf ihrer Abschaffung besteht.

Politik muss immer wieder bereit sein, aus negativen Erfahrungen zu lernen. Sonst setzt sie sich wie in diesem Fall dem Verdacht aus, die Bürger abzocken zu wollen. Das schadet ihrer Glaubwürdigkeit. Wieder einmal.

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