Kommentar Ukraine - Vorläufiger Friede

So oft in diesen Tagen im Fall der Ukraine Vergleiche mit dem Sturz kommunistischer Diktaturen Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in den Ländern Mittel- und Osteuropas gezogen werden, so oft gehen sie in die Irre. Denn in der Ukraine geht es nicht nur um den Siegeszug der Demokratie.

Es geht um Ost und West, um EU und Russland, um linke und rechte Politik. So groß das Aufatmen über die Umwälzungen des Wochenendes auch ist, es ist nicht mehr als ein vorläufiger Friede.

Das allerdings ist schon viel, das war zunächst einmal das Wichtigste. Denn der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat im Verein mit seinen Amtskollegen aus Polen und Frankreich (und im Hintergrund auch im Zusammenspiel mit seinem russischen Gegenpart) erreicht, dass das Blutvergießen in Kiew ein Ende hat.

Die EU hat damit endlich auch ein gelungenes Beispiel für den wirkungsvollen Einsatz ihres Einflusses gegeben. Ein Beispiel der Einigkeit zudem, das in anderen Fällen (Syrien, Libyen zum Beispiel) schmerzlich vermisst wurde. Und dennoch muss man auch in dieser Situation fragen: Warum so spät? Warum musste es - wieder einmal - erst die Eskalation der Gewalt geben, bis sich Europa zum Handeln durchrang?

Dennoch: Ein Anfang ist gemacht. Da aber alles rund um den Maidan komplizierter ist, als es auch hierzulande gern wahrgenommen wird, kommt es jetzt darauf an, klug die weiteren Schritte zu wählen. Dazu gehört, dass das simple Denken in Machtsphären ein Ende haben muss.

Nur wenn Russland und die EU gemeinsam den Ukrainern helfen, wird das von Erfolg gekrönt sein. Die amerikanische Regierung hat diese Quadratur des Kreises gestern gefordert. Sie, die auch zu lange geschwiegen hat. Auch in Washington weiß man, dass eine Teilung des Landes keine Option sein kann. Aber faktisch ist das Land seit langem geteilt. In einen westlich orientierten Westen und einen russlandorientierten Osten.

Und die Gleichung "Hier die Demokraten, dort die Autokraten" geht nicht auf. Viele der nationalistischen Kräfte kommen aus dem Westen des Landes. Es wäre ein Paradox der Geschichte, wenn die EU ihnen zur Macht verhelfen würde.

Schwarz und Weiß passt also nicht auf die Situation des Landes. Beispielsweise im Blick auf die Führer der Opposition. Die endlich aus der Haft freigekommene Julia Timoschenko ist deswegen noch lange nicht eine lupenreine Demokratin, sondern eine durchaus schillernde Figur.

Wer dem entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch sein Prunk- und Protz-Verhalten vorwirft, darf dennoch fragen, was es mit Timoschenkos Vermögen auf sich hat. Wer Vitali Klitschko zujubelt, vergisst, dass über einer harten Faust nicht unbedingt ein kluger Kopf sitzen muss.

Die Dinge in der Ukraine - das ist die gute, befreiende Nachricht dieses Wochenendes - scheinen endlich auf einem guten, gewaltfreien Weg zu sein. Dieser Weg ist aber noch längst nicht an seinem Ende angekommen. Wie die divergierenden Interessen im Land und parallel dazu Russlands und der EU auf einen Nenner gebracht werden können, vermag derzeit niemand zu sagen. Sicher ist nur: Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, die Ukraine nach dem Kraftakt vom Wochenende wieder sich selbst zu überlassen.

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