Kommentar UN-Vollversammlung: Führung

Sie haben sich natürlich nicht abgesprochen, die evangelische Pastorentochter und der erste Mann des Weltkatholizismus.

Doch was Papst Franziskus und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag in New York zur Eröffnung der Vollversammlung der Vereinten Nationen sagten, passte nahtlos zueinander, ja phasenweise wirkte es so, als antwortete Merkel auf Franziskus, aber nicht um ihm zu widersprechen, sondern um ihm zu folgen.

Nun sind am East River schon viele große Reden gehalten worden, ohne dass sie lang anhaltende Wirkung gehabt hätten. Diesmal könnte das anders sein - zumindest ein wenig. Noch nie hat ein Papst die Generalversammlung der Weltgemeinschaft eröffnet, und nie zuvor - das ist noch wichtiger - hat hier ein Papst gesprochen, an dem gewissermaßen die Lippen der Welt hängen. Denn das ist das eigentliche Phänomen dieses Kirchenführers: Er spricht nicht nur mit der Autorität des ersten Mannes der katholischen Kirche in diese Kirche hinein (und wirbelt sie kräftig durcheinander). Nein, die Autorität, die er sich seit seinem Amtsantritt erworben hat, reicht weit über seine Kirche hinaus. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat dafür gestern die hübsche Formulierung gefunden, dieser Papst sei die schallende Stimme des Gewissens. Ja, so ist es: Da sprach sozusagen das Weltgewissen vor der Weltgemeinschaft.

Was durchaus zu dem Gedanken führt: Wenn eine Weltpersönlichkeit in diesem Jahr den Friedensnobelpreis verdient hat, dann dieser Papst. Er lässt - wie zuvor schon im US-Kongress - so gut wie kein Thema aus, geißelt den Kapitalismus mit seinen menschenverachtenden Auswirkungen, kämpft unerbittlich für die Armen und eben für die friedliche Lösung von Konflikten. Das ist beste Unterstützung für das, was sich die Vereinten Nationen in der Folge der Millenniumsziele, die in diesem Jahr verwirklicht sein sollten, vornehmen wollen.

Gewiss: Diese Ziele, nicht nur beim Klima, sind weit entfernt davon, Realität geworden zu sein. Aber wenn die atmosphärischen Anzeichen nicht ganz trügen, dann ändert sich gerade etwas in der "Weltstimmung". Bisher Undenkbares wird denkbar. Wer, nur ein Beispiel, hätte vor fünf Jahren darauf gesetzt, dass die USA beim Klimaschutz mitmachen?

Eben deshalb passte es gestern sehr gut, wie konkret die deutsche Kanzlerin echte Ergebnisse beim Klimagipfel Ende des Jahres in Paris einforderte. "Wir schaffen das", ihr Motto angesichts der Flüchtlingswelle in Europa, könnte Schule machen. Anders gesagt: Der gestrige Tag in New York hat ziemlich eindrucksvoll bestätigt, dass es doch so etwas wie politische Führung geben kann. Ein hoffnungsvolles Zeichen, auch wenn es nicht ohne Risiko ist. Der Papst erfährt das in den eigenen Reihen mit seiner Öffnungspolitik, Merkel in ihren Reihen (und beim Bürger) mit ihrer Willkommenskultur. Doch wer christliche Werte ernst nimmt, kann nicht anders

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