Kommentar zur Halbzeit des Beethovenfestes Veränderungen

Bonn · Nike Wagner hat das Motto des ersten Beethovenfestes, das sie als Intendantin zur Gänze selbst verantwortet, klug gewählt. "Veränderungen" heißt es, und die Veränderung ist wie die Erneuerung Teil der DNA Nike Wagners: "Kinder, schafft Neues", hatte ihr Urgroßvater Richard Wagner schon 1852 in einem Brief an ihren Ururgroßvater Franz Liszt eingefordert. Das löst Nike Wagner in Bonn gerade ein.

Das Festival begann fulminant mit Auftritten großer Orchester und berühmter Dirigenten. Das hätte die frühere Intendantin Ilona Schmiel nicht anders gemacht. Das Neue schlich sich durch die Seitentür ein: Das Gastspiel der Göteborgs Operans Danskompani markierte den Einzug einer Sparte ins Festival, von der auch in Zukunft spannende Impulse zu erwarten sind. Dass Nike Wagner mit der Vergabe von Kompositionsaufträgen langfristigere Ziele verfolgt, ist ebenfalls ein neuer Zug. Mit Blick auf das Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 schuf Salvatore Sciarrino das erste einer Serie von Werken, in denen sich Komponisten mit Beethoven auseinandersetzen. Damit nimmt Nike Wagner eine Vorreiterrolle bei den Bonner Vorbereitungen auf den 250. Geburtstag des Komponisten ein.

Die roten Fäden, die sich durch Nike Wagners Festival ziehen, sind vielfältig, interessant, aber auch sehr aus Künstlerperspektive gespannt. Die Fragestellungen im Diabelli-Zyklus, in den eine Expertenrunde integriert wurde, wie auch im Symposium "Musik hören: gestern, heute, morgen" sind nicht von der Art, die ein größeres Publikum anziehen. In diesen Zusammenhang gehört die Feststellung, dass das Beethovenfest in der Stadt zu wenig sichtbar wird. Da könnte sich Nike Wagners zu Unrecht belächelte Vision von einem aufblasbaren Kammermusiksaal als nützlich erweisen. Er könnte Treffpunkt, Festzelt und Attraktion sein. Es wäre ein Ort der Kommunikation.

Der Aspekt, ein großes Publikum anzusprechen, gehört genauso zu einem vollständigen Beethovenbild wie der des einsamen Avantgardisten. Oder des politischen Künstlers. "Der Name Beethoven steht für Menschenrechte und demokratische Werte - auch im Ausland", formulierte Nike Wagner in einem Statement für die Aktion "Wir sind Deutschland", die von der Deutschen Welle (DW) gegen Fremdenhass initiiert worden war. Das wäre jetzt, wo Deutschland allein für dieses Jahr eine Million Flüchtlinge erwartet, ein Stichwort. Dass in Beethovens neunter Sinfonie mit der Vertonung von Schillers "Ode an die Freude" Zeilen zu finden sind wie "Alle Menschen werden Brüder", mag manchem zu pathetisch sein. Aber wir leben ja gerade in einer Zeit, wo viele Menschen genau so empfinden. Auf den Fall der Mauer reagierte Leonard Bernstein mit einer außerplanmäßigen Aufführung der Neunten an Weihnachten 1989 in Berlin. Er wusste die Stunde zu nutzen. Schade, dass diese Botschaft beim Beethovenfest in diesem Jahr nicht zu hören ist.

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