Kommentar zum Hilfspaket der EU Visionäre sind gefragt

Meinung | Brüssel · Das Hilfspaket der Europäischen Union in der Corona-Krise steht. Das Virus hat die Welt tief getroffen und wird die Politik noch lange belasten. Etliche Staaten, auch Deutschland, dürften noch lange darunter leiden, kommentiert unser Autor.

 Das Hilfspaket der Europäischen Union wurde in noch nie gesehener Geschwindigkeit beschlossen.

Das Hilfspaket der Europäischen Union wurde in noch nie gesehener Geschwindigkeit beschlossen.

Foto: grafik/DPA

Das Paket steht. Niemals zuvor hat die Europäische Union in solcher Geschwindigkeit ein Sicherheitsnetz für die Mitgliedstaaten geknüpft. Das Gerede von der mangelnden Solidarität, das sich anfangs zu Recht an egoistischen Exportbeschränkungen für medizinische Produkte entzündet hatte, müsste jetzt eigentlich verstummen. Zumal die Finanzminister auch der Versuchung widerstanden haben, die umstrittenen Euro-Bonds auf die Schnelle einzuführen, weil sie wussten, dass gemeinsame Anleihen derzeit nicht das sein können, was sie wirklich brauchen: eine kurzfristig verfügbare, schnelle Hilfe.

Ob diese nun beschlossenen 540 Milliarden Euro auch so wirken, wie sie wirken sollen, liegt ab jetzt an den Regierungen der Mitgliedstaaten. Genau das ist der Haken. Nur ein kleiner Teil der Zuwendungen, nämlich die 100 Milliarden für ein europäisches Kurzarbeitergeld, sind sozusagen geschenkt. Bei allen anderen Mitteln handelt es sich um Darlehen, die zu einem nicht unerheblichen Teil mit Eigenmitteln unterlegt sein müssen. Das ist für jene Länder, die die Unterstützung besonders brauchen, nicht einfach. Italiens Schuldenstand wird vermutlich am Ende der Krise griechische Dimensionen erreicht haben. Und sogar Deutschland dürfte an den zusätzlichen Schulden noch etliche Jahrzehnte leiden.

Das Virus hat die Welt tief getroffen und wird die Politik noch lange belasten. Deshalb braucht die Gemeinschaft Perspektiven, die man gemeinsam schaffen kann. In den kommenden Wochen müssen die Staats- und Regierungschefs über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 eine Einigung erzielen. Es wäre falsch, dieses bislang ergebnislose Gezerre allein auf die Frage zu reduzieren, wie hoch der Beitrag der Länder für die Union ist. Viel wichtiger wird nun sein, diese vermutlich über eine Billion Euro so auszugeben, dass aus den großen Herausforderungen wie Klimaneutralität, Digitalisierung und Forschung ein Konjunkturprogramm für alle wird.

Die Finanzminister haben sich bereits im Grundsatz auf einen Wiederaufbau-Fonds für die Zeit nach Corona verständigt. Dieser darf kein Mammutprojekt sein, mit dem die Union in die Zeit vor der Krise zurückkehrt, sondern er muss für den Sprung nach vorne genutzt werden. Die Ökonomie erst wieder aufzubauen, um sie dann umzustellen, wäre sinnfrei. Deshalb sind nun die Vordenker dieser EU, die Visionäre gefragt, die Entwürfe dafür ausarbeiten, wie man die Lehren aus dem Lockdown mit pragmatischen Vorschlägen für einen Entwurf zukünftigen Wirtschaftens verbinden.

Ein Beispiel ist die Erkenntnis, dass Globalisierung nicht für alles eine Lösung, sondern auch ein Problem sein kann – wie am Medikamenten-Mangel, am Defizit von Schutzausrüstungen und medizinischen Geräten abzulesen ist. Ein angemessenes Wiederaufbau-Programm muss neue Strukturen und mehr Versorgungssicherheit schaffen, nicht die bisherige Abhängigkeit von China wieder herstellen.

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