Kommentar zur Tour de France Von Hotspot zu Hotspot

Nizza · Seit Samstag rollt in Frankreich die 107. Ausgabe der Tour de France – trotz steigender Corona-Infektionszahlen und Reisewarnungen.

 Der Sieger der zweiten Etappe, der französische Radprofi Julian Alaphilippe, jubelt im Ziel.

Der Sieger der zweiten Etappe, der französische Radprofi Julian Alaphilippe, jubelt im Ziel.

Foto: dpa/Pool Tour De France

Nun rollt sie also. La Grande Boucle – die Große Schleife, wie sie in Frankreich voller Liebe, voller Respekt, voller Stolz genannt wird. Das Prestigeobjekt des französischen Sports. Sie hat Underdogs zu Helden gemacht und Helden zu Fall gebracht. Sie ist ein Wirtschaftsmotor.

Mit zweimonatiger Corona-Verspätung ist am Samstag der Grand Départ in Nizza erfolgt. Die große Abfahrt. Experten sprechen von einer besonders schweren Tour. Es gibt acht Gebirgsetappen, vier Bergankünfte. 3470 Kilometer müssen die Fahrer absolvieren. Alleine auf der zweiten Etappe wurden mehr als 4000 Höhenmeter gefahren, der Col de la Loze ist mit 2300 Metern das Dach der Tour.

Und es gibt noch eine weitere beeindruckende Zahl: 7379! So viele Corona-Neuinfektionen meldete Frankreich am vergangenen Freitag. Und damit den zweithöchsten Wert, der in der Grande Nation seit Beginn der Pandemie registriert wurde. Frankreich befindet sich mitten in der zweiten Welle. Für die Gegenden rund um den Start-
ort Nizza sowie das große Finale in Paris gelten Reisewarnungen, es handelt sich um Corona-Hotspotgebiete.

Schon im Frühling – während der ersten Welle in Frankreich – hatte Tour-Veranstalter Christian Prudhomme an der Großen Schleife festgehalten. Er hat sie verteidigt, gegen alle Widerstände, gegen die schiere Macht des Virus und erinnerte unweigerlich an Asterix im Kampf gegen die Römer. Mittlerweile weiß die Wissenschaft mehr über das Virus, kennt Infektionswege genauer, Gegenmaßnahmen. Sportler werden in Blasen gepackt, damit ihre Events ausgetragen werden können und ein Hauch Normalität in die Wohnzimmer der Sportfans zurückkehrt.

Aber genau dort liegt der Denkfehler. Die Tour unterscheidet sich gravierend von der Champions League, den US Open oder der NBA. Sie findet auf den öffentlichen Straßen Frankreichs statt. Man kann die Fahrer in eine Blase stecken, flächendeckende Tests durchführen und bei positivem Befund die Mannschaften ausschließen. Das schützt die Fahrer – aber einen wesentlichen Teil der Tour nicht: die Zuschauer, deren Anwesenheit nicht zu verhindern ist. Die Tour bewegt sich mit ihrer Werbekarawane und vielen Fans von einem Hotspot quer durchs Land zum nächsten. Es ist zu befürchten, dass aus der Großen Schleife der große Corona-Verteiler wird. Die Tour ist das Prestige-Objekt Frankreichs. Es wäre fatal, wenn sie in diesem Jahr zum Desaster wird.

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