Kommentar Vor dem Start der Fußball-EM - Große Fallhöhe

Go East. Der Sport geht in den Osten. Olympische Winterspiele 2014 im russischen Sotschi, Fußball-WM 2018 in Russland und ab morgen die Fußball-EM in Polen und der Ukraine: Das ist ein Trend, der durchaus kritisch gesehen wird.

Der Osten - das schmeckt aus der Sicht des Mitteleuropäers immer noch ein wenig nach eisernem Vorhang, nach Tristesse, nach Freudlosigkeit. Es ist aber nun an der Zeit, diese Vorurteile zu überprüfen. Definitiv kein Vorurteil ist, dass die Ukraine Nachholbedarf in Sachen Menschenrechte hat. Der öffentliche Diskurs darüber machte das vielen Menschen erst bewusst.

Insofern mag es sogar hilfreich sein, große Sportveranstaltungen an Nationen zu vergeben, die noch als demokratische Schwellenländer gelten müssen. Der Vorhang kann dadurch ein wenig beiseite geschoben, Prozesse der Öffnung können in Gang gesetzt werden. Dass die ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko darum bat, die Spiele in ihrem Heimatland zu besuchen, unterstreicht das.

Ohnehin ist es längst zu spät, der Ukraine die Rote Karte zu zeigen. Vielmehr müssen die großen internationalen Sportverbände UEFA, FIFA und IOC den politischen Aspekt künftig schon bei der Vergabe berücksichtigen: Können wir dort hingehen? Dürfen wir dort hingehen? Wie ist die politische Entwicklung in dem betreffenden Land einzuschätzen? Was tun wir, wenn es in die falsche Richtung läuft?

Die Zeiten sind vorbei, in denen der Sport den Kopf in den Sand stecken und naiv behaupten konnte: Sport ist Sport, und Politik ist Politik. Der Sport ist überfordert, wenn er den Job der Politik übernehmen soll, aber er sollte Position beziehen. Dazu brauchen UEFA & Co Kommissionen, die diese Positionen formulieren. Und sie brauchen eine Charta, die das Instrumentarium der Meinungsäußerung definiert. So eindeutig und nachdenklich, wie sich einige DFB-Protagonisten geäußert haben, hätte man sich auch UEFA-Chef Michel Platini gewünscht.

Ob die EM der Ukraine guttut, wird man erst mit einigem Abstand beurteilen können. Vorerst geht es um Fußball. Dabei startet die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw am Samstag gegen Portugal unter neuen Voraussetzungen ins Turnier. Die dritten Plätze bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 sowie Rang zwei bei der Europameisterschaft 2008 wurden hierzulande gefeiert.

In der Rolle des Außenseiters konnte sich das junge Team prächtig entwickeln. Das ist mittlerweile anders, die Latte liegt hoch. Wie würde ein Ausscheiden im Halbfinale diesmal aufgenommen? Wäre alles andere als der Titel eine Enttäuschung? Die Fallhöhe könnte riesig sein. Immerhin: Magere Testspiele, Verletzungen und eine zerstückelte Vorbereitung schärften zuletzt den öffentlichen Realitätssinn.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Helge Matthiesen
zu den weltweiten Militärausgaben
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten MilitärausgabenEine andere Welt
Zum Thema
Nur Warten reicht nicht
Kommentar zur Frühjahrsprognose Nur Warten reicht nicht
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Bekenntnis zur Truppe
Kommentar zum Veteranentag Bekenntnis zur Truppe
Aus dem Ressort