Kommentar Vor den Stichwahlen in Kairo - Pest und Cholera

Eine Karikatur veranschaulicht die Wahlmöglichkeiten der Ägypter: Eine ratlose Kuh steht vor zwei Gängen, die am Ende beide zum Schlachthaus führen.

Die Ägypter haben in der Stichwahl um das Amt des Präsidenten die Option zwischen Ahmad Schafik, einem Restposten Mubaraks, und dem Muslimbruder Muhammad Mursi.

Doch die Wahl zwischen Pest und Cholera, wie sie von vielen Ägyptern beschrieben wird, könnte sich auch als Chance erweisen. Denn analysiert man die Wahlergebnisse, wird deutlich, dass die eigentlichen Wahlsieger in einer wenig komfortablen Lage sind. Sie wurden von weniger als der Hälfte der Ägypter gewählt.

Deutlich mehr hatten Kandidaten des neuen Wandels ihre Stimme gegeben, die sich allerdings aufgrund ihrer Aufsplitterung nicht durchsetzen konnten, allen voran dem säkularen Nasseristen Hamdenn Sabahi und dem liberalen Aussteiger aus der Muslimbruderschaft, Abdel Monem Abul Futuh. Die Gewinner Schafik und Mursi müssen nun deren Anhänger für sich gewinnen.

Schafik hat dabei wenig Optionen. Er kann die PR-Maschine der alten Seilschaften aus dem Sicherheitsapparat und der ehemaligen Regierungspartei Mubarak anwerfen bei dem Versuch, sein Image als Mubarak-Mann abzustreifen. Das ist schon in sich ein Widerspruch, auch wenn sein Credo: "Ich werde die Zeiten nicht zurückdrehen" laut bis in die letzten Gassen des Landes zu vernehmen ist. Und was Dienstagnacht geschehen ist, als Schafiks Wahlkampfbüro in Flammen aufgegangen ist, könnte nur ein Vorgeschmack sein auf das, was noch kommen könnte.

Aber auch die Muslimbrüder haben ein ernsthaftes Problem. Hatten sie bei den Parlamentswahlen im Winter noch die Hälfte der ägyptischen Stimmen erhalten, schaffte es ihr Kandidat Mursi in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen nicht einmal, ein Viertel der Stimmen hinter sich zu vereinen.

Die Muslimbrüder haben nun zwei Optionen. Sie können versuchen, auch mit Hilfe der erzkonservativen radikalislamischen Salafisten ihren Kandidaten durchzubringen und ihren eigenen konservativen Kurs weiterzufahren, in der Hoffnung am Ende Präsidentschaft und Parlament zu kontrollieren. Damit übernähmen die Muslimbrüder aber die volle politische Verantwortung für ein Land, dessen Berg an Problemen sie nie alleine lösen könnten, schon gar nicht in einer polarisierenden Situation, die bei einem solchen Alleingang automatisch eintreten würde. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Muslimbrüder spätestens bei den nächsten Wahlen mit wehenden Fahnen untergehen würden.

Vieles deutet darauf hin, dass die Muslimbrüder sich bereits für ihre zweite Option entschieden haben: ein Bündnis mit anderen politischen Kräften - Liberale, Linke, Nasseristen, christliche Kopten - gegen die Rückkehr des alten Systems und eine Regierung der Nationalen Einheit. Dafür müssten allerdings alle Seiten lernen, dass Demokratie aus Kompromissen besteht.

Dann aber stehen die Chancen nicht schlecht, dass die polarisierende Figur aus den alten Zeiten, Schafik, zu einem Schulterschluss des neuen Ägypten führt. Das wäre der Impfstoff, mit der sich Pest und Cholera verhindern ließen.

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