Kommentar Waffen und USA - Trostlos

WASHINGTON · Zum Trostlosesten im Alltag der Vereinigten Staaten von Amerika gehören Rituale nach "Ereignissen" wie jenen in San Bernardino. Wie in einer stillen Verschwörung üben sich Bürger, Politiker, Medien, Experten, Polizisten, nicht alle, aber immer noch viel zu viele, in einer Farce des Selbstbetrugs.

Nach Tränen und Entsetzen über die Opfer von Massenmorden mit Schusswaffen, die hier technokratisch verharmlosend "mass shootings" genannt werden, kommt erst das Gebet. Und dann eine Flut abgestandener Worte des Bedauerns und der Anteilnahme, die schon beim Aussprechen ihre Wirkung verlieren. Jeder ahnt: Bis zum nächsten Mal ist es nicht mehr lange hin.

Es ist diese Endlosschleife des Grauens, mit der das selbst ernannte Vorbild der Weltgemeinschaft Woche für Woche den moralisch-intellektuellen Offenbarungseid leistet. Denn alle, die nicht ideologisch vollständig vernagelt sind, wissen, dass mehr als 300 Millionen Schießprügel in Privathaushalten, himmelschreiend laxe Kontrollen beim Waffenverkauf, groteske Waffengesetze und eine tief verankerte Anbetung der "Gun"-Kultur Amerika ein furchtbares Alleinstellungsmerkmal eingebracht haben: Allein in den vergangenen vier Jahren sind in den Vereinigten Staaten mit rund 120.000 mehr Amerikaner an Schusswaffengewalt gestorben als in den Kriegen von Korea, Vietnam, Afghanistan und Irak zusammen.

Die Rezepte, schrittweise etwas dagegen zu tun, liegen seit Ewigkeiten auf dem Tisch. Aber nicht einmal der Tod von 20 Grundschülern in Newtown hat vor drei Jahren zu einem grundsätzlichen Innehalten geführt.

Insgesamt hat sich Amerika mit den permanenten Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land arrangiert. Mit dem Resultat, dass Barack Obama, der "Führer der freien Welt" regelmäßig vor die Kameras treten und nach Amokläufen den hilf- und machtlosen "Trostspender-in-Chief" spielen muss. Bis zum nächsten Mal.

Im Kongress macht die republikanische Mehrheit weiter feige Männchen vor der Waffenlobby der National Rifle Association (NRA), die das Volk belügt, um das Recht auf Waffenbesitz und die davon profitierende Industrie zu schützen.

Ihr verlogenes Glaubensbekenntnis - gegen einen bösen Menschen mit einer Waffe hilft nur ein guter Mensch mit einer Waffe - hat sich längst wie ein tödlicher Virus in der Volksseele eingenistet. Demokraten wie Hillary Clinton, die sich damit "nicht abfinden wollen", wirken wie Strohhalme in einem reißenden Strom.

Man sieht bereits leise den Tag dämmern, an dem Amerika auch aufhören wird, über die Toten an seiner Heimatfront zu trauern. "Der liebe Gott", titelte gestern ein Boulevard-Blatt in New York konsterniert, "wird?s nicht richten."

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