Kommentar Waffenstillstand in Nahost - Erfolg für Hamas

Endlich. Nach acht Tagen und Nächten heftigsten gegenseitigen Beschusses herrscht Ruhe um den Gazastreifen, zwischen Israel und der Hamas. Doch auch dieser Waffengang kennt keinen militärischen Sieger, wohl aber Millionen Zivilisten auf beiden Seiten als Verlierer.

Entscheidend sind im Nahen Osten seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 nicht die militärischen Ergebnisse, sondern die meist gegenteiligen politischen Auswirkungen.

Israel hat seine unbestrittene militärische Überlegenheit nachdrücklich unter Beweis gestellt. Die Hamas schaffte es ihrerseits auch diesmal, trotz heftigster zerstörerischer Bombardements der israelischen Luftwaffe ihre eigenen Raketenattacken über eine Woche lang aufrechtzuerhalten. Sie bedrohte erstmals ernsthaft jenseits des unmittelbaren Umlandes liegende israelische Bevölkerungszentren (Tel Aviv, Jerusalem und Beer Schewa).

Israels politische Errungenschaften sind nicht ohne: US-Präsident Barack Obama hat sich als absolut vertrauenswürdiger Partner in Krisenzeiten erwiesen. Der Westen bekräftigte das elementare Recht Israels auf Selbstverteidigung und handelte dementsprechend. Ägyptens Präsident Mursi konnte trotz seiner Nähe zur Hamas in eine verbindliche Vermittlerrolle hineingezwängt werden.

Doch als der große politische Gewinner dürfte sich die Hamas erweisen. Israel, das nicht mit dem gemäßigten Mahmud Abbas und seiner Westbank-Regierung verhandelt, tat dies sehr wohl - wenn auch indirekt - mit den Gazastreifen-Islamisten.

Auch andere Regierungen wie Katar, die Türkei und auch die USA haben die de-facto-Regierung unter Ismail Haniyeh ebenso de facto anerkannt und verhandelten mit ihr, via ägyptischer Vermittlung. Der Gazastreifen wird erstmals von vielen im Ausland als politische Einheit wahrgenommen. Zwar nicht als Staat, aber als eine Art halbstaatliches Gebilde, Hamastan.

Im palästinensischen Machtkampf hat die Hamas ihre Basis bei der Bevölkerung massiv erweitert, auch im Westjordanland. Mahmud Abbas dagegen ist politisch zur Nullnummer verkommen. Falls er und seine Leute nicht sofort nach den israelischen Wahlen mit der neuen israelischen Regierung, so nationalistisch ausgerichtet sie auch sein mag, inhaltsvolle Verhandlungen aufnehmen, wird ihm auch ein noch so bescheidenes Comeback nicht gelingen.

Wenn Israel, die USA, aber auch die EU, nicht schnell schalten, dann stirbt die in Agonie liegende Zwei-Staaten-Lösung endgültig. Dann rückt der von ihnen versprochene Staat Palästina in weite, gar unerreichbare Ferne. Und damit auch die längst überfällige politische, friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Also genau das, was die Hamas schon immer wollte und jetzt erst recht anstrebt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Sehr viele Stühle: Der Bundestag soll
Nicht ohne Nachteil
Kommentar zur WahlrechtsreformNicht ohne Nachteil
Viel Potenzial bei Ungelernten
Kommentar zur Arbeitslosenquote Viel Potenzial bei Ungelernten
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten Militärausgaben Eine andere Welt
Zum Thema
Christine Longin, Paris,
zu Macrons Rede
Der Unruhestifter
Kommentar zur Rede von Emmanuel Macron an der SorbonneDer Unruhestifter
Moral ist anstrengend
Kommentar zum Lieferkettengesetz Moral ist anstrengend
Abenteuer Zugfahrt
Kommentar zur ICE-Streckensperrung zwischen Köln und Frankfurt Abenteuer Zugfahrt
Noch nicht aufgewacht
Kommentar zum Treffen zwischen Scholz und Sunak Noch nicht aufgewacht
Nur Warten reicht nicht
Kommentar zur Frühjahrsprognose Nur Warten reicht nicht
Aus dem Ressort