Kommentar Waffenstillstand in Syrien - Zerbrechliche Lage

Seit Donnerstag sechs Uhr Ortszeit sollen in Syrien die Waffen schweigen. Die Schergen des Assad-Regimes mussten ab diesem Zeitpunkt ihre Blutorgien beenden. Auch die Opposition war angehalten, der Gewalt abzuschwören. So sieht es der Friedensplan des internationalen Sondergesandten Kofi Annan vor.

Es ist viel zu früh, um die entscheidenden Fragen zu beantworten: Wird die Waffenruhe halten? Wird der Donnerstag als der letzte Tag eines grausamen Bürgerkrieges in die Geschichte eingehen?

Noch darf die UN keine Beobachter nach Syrien schicken, um die Einhaltung der Waffenruhe zu überwachen. Letztlich muss die Regierung in Damaskus der Entsendung von UN-Personal zustimmen. Assad und seine Gefolgsleute, so ist zu befürchten, werden alle Vorwände und Tricks gebrauchen, damit sich die Stationierung von Beobachtern verzögert. Schon zu oft täuschte und betrog das Regime in Damaskus die internationale Gemeinschaft, schon zu oft nutzte der Clan die Gutgläubigkeit der Welt aus.

Völlig zu Recht spricht UN-Generalsekretär Ban Ki Moon von einer "sehr zerbrechlichen" Lage nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe. Der kleinste Funke genügt, um die Gewalt wieder aufflammen zu lassen. Die Erfahrung lehrt: Je brutaler eine oder beide Seiten in einem Konflikt wüten, desto heftiger wuchert der Hass. Und Hass schafft neue Gewalt.

Der Kreislauf aus Hass und Gewalt ist schwer zu durchbrechen, besonders in Syrien. Dort verübten die Assad-Truppen unvorstellbare Grausamkeiten: Sie feuerten mit Panzern und Artillerie auf Wohnviertel, sie erschossen gezielt Kleinkinder, sie vergewaltigten Frauen von Oppositionellen oder vermeintlichen Oppositionellen en masse, sie folterten sterbende Patienten in den Krankenhäusern.

Wenn die Waffenruhe halten sollte, stellen sich die nächsten Fragen: Kann die Opposition, wie in Annans Friedensplan vorgesehen, tatsächlich in einen politischen Dialog mit dem Assad-Regime treten? Kann es jemals vernünftige, konstruktive Gespräche zwischen der gequälten Bevölkerung und den Schlächtern geben? Verhandlungen oder sogar ein syrischer "runder Tisch" scheinen völlig unrealistisch zu sein.

Assad könnte letztlich als der Gewinner der Waffenruhe dastehen. Ein Ende seiner Herrschaft ist in dem Annan-Plan nicht vorgesehen, Hoffnungen in der westlichen Welt, ein "Regimewechsel" bahne sich an, sind naiv. Der vorläufige Stopp der offenen Gewalt dürfte vielmehr Assad die Zeit geben, seine eiserne Kontrolle über das geschundene Land zu festigen.

Auf freie und faire Wahlen wird sich Assad nicht einlassen: Ein Diktator, der Tausende Menschen töten lässt und Zehntausende Menschen willkürlich in Gefängnisse wirft, dürfte auf demokratische Prinzipien nur mit Hohn reagieren. Wie aber soll die Terrorherrschaft des Assad-Clans beendet werden? Auch diese Frage lässt sich kaum beantworten.

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