Kommentar Wettskandal im Fußball - Keine Überraschung

Ist tatsächlich jemand überrascht? Wenn ja, dann war er naiv. Fußball ist groß. Fußball ist wichtig (oder wird zumindest für wichtig gehalten). Fußball setzt viel Geld um. Also ist er anfällig für Betrug aller Art.

Warum sollte das anders sein als im richtigen Leben? Allenfalls das Ausmaß des Manipulationsskandals, den Europol jetzt aufdeckte, verwundert. Eine Überraschung, ja eine Sensation wäre gewesen, wenn im Fußball nicht geschoben würde.

Dass der Fußball ein Problem mit Wettbetrügern hat, ist ohnehin nicht neu. Auch in Deutschland nicht. Als 2005 nach und nach das Ausmaß des Skandals um Schiedsrichter Robert Hoyzer deutlich wurde, erschütterte uns das. Alles, was neu ist, sorgt für Erschütterungen.

Aber dann trat ein Gewöhnungseffekt ein, das Thema Gewalt verdrängte die Schiebung aus den Schlagzeilen, und demnächst erreicht womöglich auch die Dopingproblematik den Fußball. Mal abwarten, was der spanische Arzt Eufemiano Fuentes noch alles ausplaudert.

[kein Linktext vorhanden]Die Machenschaften der Wettmafia, vorrangig aus Asien, dürfen nicht verharmlost werden. Aber sie bedürfen einer Einordnung. Wichtig ist zum Beispiel, dass die Betrügereien des Berliner Paten Ante Sapina in den weltweit verschobenen 700 Spielen bereits enthalten sind. Nach derzeitigem Kenntnisstand rollt auf den deutschen Fußball keineswegs ein neuer Wett-Tsunami zu.

Alle Verbände, ob national oder international, wären jedoch gut beraten, das Problem ernst zu nehmen. Was der Fußball definitiv nicht gebrauchen kann, ist ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn bei jedem zweifelhaften Schiedsrichterpfiff auf der Tribüne "Schiebung" gebrüllt wird, ist es zu spät. Die Altvorderen werden sich noch an die Auswirkungen des Bundesligaskandals von 1971 erinnern.

Andere Sportarten haben mit anderen Problemen ähnliche Erfahrungen gemacht. Seit im Radsport beinahe Woche für Woche ein weiterer Doper überführt wird, interessiert sich hierzulande kaum noch jemand für die einst bewunderten Helden der großen Alpen-Überquerungen.

"Sind doch eh alle voll bis obenhin", lautet das Vorurteil, das die Sportart unter Generalverdacht stellt. Schwimmern und Leichtathleten geht es übrigens kaum anders. Wer diesen Stempel einmal auf der Stirn trägt, hat fortan ein Problem, seinen Sport zu vermarkten.

Wenn sich der Fußball wirklich gegen die Wettmafia wehren will, besitzt er einen großen Vorteil gegenüber fast allen anderen Sportarten. Er hat Geld. Damit könnte er Meinungsbildung betreiben und er könnte noch stärker in die Optimierung von Frühwarnsystemen investieren. Die sind zwar seit dem "Fall Hoyzer" installiert, arbeiten aber offenbar noch nicht effizient genug.

Ohnehin ist Internetkriminalität viel schwieriger auf die Schliche zu kommen als herkömmlichen Verbrechen. Nach wie vor mutet es irreal an, wenn aus einem Hinterzimmer in Kambodscha Wetten auf ein deutsches Drittligaspiel platziert werden.

Den Reiz des Sports hat der Journalist Hans Blickensdörfer mal mit dem Satz erklärt: "Keiner weiß, wie's ausgeht." Auf den Fußball trifft das vielleicht noch präziser zu als auf andere Sportarten. Sollten Wettbetrüger künftig mehr und mehr bestimmen, wie's ausgeht, hat der Fußball verloren.

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