#allesdichtmachen und die Folgen Wir müssen raus aus den rhetorischen Schützengräben

Meinung · Wir sollten sachlich über die richtige Corona-Politik streiten - doch das ist kaum noch möglich. Stattdessen geht es um Meinungsfreiheit, angebliche Cancel Culture oder DDR-Methoden. Die Aufregung um die Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen hilft niemandem.

 Schauspieler mit ihrer Aktion #allesdichtmachen: Die Reaktionen kamen so prompt wie vorhersehbar.

Schauspieler mit ihrer Aktion #allesdichtmachen: Die Reaktionen kamen so prompt wie vorhersehbar.

Foto: dpa/-

Die Reaktionen kamen so prompt wie vorhersehbar. 53 Schauspieler lästern in ironischen bis zynischen Videos über die Pandemie-Politik und die Angst vor Corona, worauf ein Sturm der Entrüstung ausbricht. Es folgt Entrüstung über die Entrüstung, was wiederum neue Entrüstung auslöst. Große Begriffe wie Meinungsfreiheit, Cancel Culture oder DDR-Methoden fliegen umher, es wird gestritten über Wesen und Grenzen von Kunst. Und nach drei Tagen weiß kaum noch jemand, worum es eigentlich geht.

Geholfen hat dieser Zirkus niemandem. Weder dem seit Monaten unter Schwerstbelastung schuftenden Klinikpersonal, noch den trauernden Angehörigen von Corona-Opfern, noch den belasteten Kindern und Familien, noch den in ihrer Existenz bedrohten Künstlern und Kleinunternehmern. Es war nichts als Lärm, eine Schlacht im andauernden Krieg der ideologischen Lager. Die Aktion #allesdichtmachen ist völlig danebengegangen – und hat gezeigt, wie kaputt der Diskurs in Deutschland inzwischen ist.

Natürlich haben Schauspieler das Recht, Kritik an der Regierung, den Deutschen allgemein oder wem auch immer zu äußern. Begeben sie sich dabei absichtlich, aus Versehen oder aus Naivität in das trübe Fahrwasser der Corona-Leugner und Rechtsausleger, dann darf und muss das kritisiert werden. Das ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit und auch keine Cancel Culture. Die Meinungsfreiheit garantiert den Schutz vor staatlicher Verfolgung – aber nicht vor Gegenrede.

Gibt es in all dem Schlachtengetümmel noch einen ausgleichenden Standpunkt? Kann man sich nicht vielleicht darauf einigen: Wer die Pandemie-Politik der Regierung kritisiert, ist nicht schon deshalb ein rechter Schwurbler. Und wer die Schauspieler für ihre Aktion kritisiert, ist nicht automatisch ein Untertan im Geiste, der die Meinungsfreiheit beschneiden will. Geht das noch?

Wir haben nämlich wichtigeres zu tun. Die dritte Welle der Pandemie rauscht weiter, mehr als 80 000 Menschen in Deutschland sind gestorben, täglich kommen Hunderte dazu. In Indien spielt sich eine Katastrophe ab, die neue Virus-Mutante B.1.617 ist bald auch in Europa auf dem Vormarsch. Zugleich leiden Millionen unter den Folgen des Dauerlockdowns, psychisch und materiell.

Ja, wir müssen streiten. Über die richtige Corona-Politik. Über den richtigen Weg, das Virus so lange unter Kontrolle zu halten, bis der Großteil der Bürger geimpft ist. Wie viel Lockdown, wie viel vom normalen Leben muss es geben? Was rät die Wissenschaft, und wie soll die Politik dies umsetzen?

Sachlich über solche Fragen zu diskutieren, scheint aber leider kaum noch möglich zu sein. Sofort wird es pauschal, zynisch, verletzend. Wir müssen raus aus den rhetorischen Schützengräben.

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