Kommentar zu Donald Trump und den USA Zu schnelle Öffnung

Meinung | Washington · Die USA haben das Coronavirus nicht unter Kontrolle. Und Präsident Donald Trump, der die Lage in manchen Reden skizziert, als sei die Causa Corona abgehakt, hat ohne Zweifel zur Malaise beigetragen, kommentiert unser Autor.

 US-Präsident Donald Trump liegt in den Wahlumfragen zurzeit deutlich hinter seinem Rivalen Joe Biden.

US-Präsident Donald Trump liegt in den Wahlumfragen zurzeit deutlich hinter seinem Rivalen Joe Biden.

Foto: dpa/Evan Vucci

Es ist ein 4. Juli, wie es ihn lange nicht gab. Ihre Unabhängigkeit feiern die Amerikaner diesmal im Zeichen akuter Verunsicherung. Das Land hat das Coronavirus nicht unter Kontrolle. Es hat sogar den Anschein, als habe seine Regierung vor dem Virus stillschweigend kapituliert. Derzeit werden täglich fast 50.000 neue Infektionen bestätigt, mehr als im April, als die Epidemie in den USA ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien. Allein durch eine Ausweitung der Tests, wie es Präsident Donald Trump zu begründen versucht, lässt sich der Anstieg nicht erklären. Was sich rächt, ist die vielerorts überhastete Rückkehr zur Normalität und die allzu rasche Öffnung der Wirtschaft.

Ein Präsident, der die Lage in manchen Reden skizziert, als sei die Causa Corona abgehakt, als müsse sich alles sofort wieder normalisieren, hat ohne Zweifel zur Malaise beigetragen. Als er neulich in einer Megakirche in Phoenix vor jungen Anhängern sprach, die meisten ohne Mund-Nasen-Schutz, machte er einmal mehr klar, dass er die Dinge allein durch die politische Brille sieht. Die Opposition, behauptete er, tue alles, um die Wirtschaft am Boden zu halten. Ihr gehe es nur darum, die Ökonomie und damit seine Wiederwahlchancen zu sabotieren.

So unsinnig das ist, so gründlich könnte es die Wahlkampfrhetorik der nächsten Wochen prägen. Trump wird vor keiner Verbalattacke zurückschrecken, um die drohende Niederlage abzuwenden. Die Website Real Clear Politics hat Durchschnittswerte aller Umfragen veröffentlicht, nach denen Herausforderer Joe Biden mit gut neun Prozentpunkten führt. Vor vier Jahren gewann Trump die Wahl, weil er in Staaten wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin knapp die Nase vorn hatte. Nun liegt er dort überall deutlich hinter seinem Rivalen, zudem in Florida, dem klassischen Swing State.

Daraus abzuleiten, dass sich Biden auf der Siegerstraße befindet, wäre töricht. Schon 2016, nach der Veröffentlichung eines Tonbandmitschnitts, in dem er sich damit brüstete, Frauen ungestraft in den Schritt fassen zu können, hat Trump bewiesen, dass ein Zwischenstand, der ihn auf scheinbar verlorenem Posten sieht, am Ende nichts bedeuten muss. Seine Crux im Jahr 2020: Gerade ältere Wähler, die er mit der Nostalgie seines „Make America Great Again“ für sich einzunehmen verstand, könnten sich ernüchtert von ihm abwenden, sollte sich der Eindruck verfestigen, dass dieser Präsident Corona-Beschränkungen für eine Zumutung hält.

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