Kommentar Zukunftsmusik

Dass Parteien ihre internen Abläufe strukturieren, ist zunächst mal ihre Angelegenheit und von überschaubarem öffentlichen Interesse.

Aber es hat natürlich durchaus einen Überraschungswert, wenn CDU-Generalsekretär Peter Tauber im Zuge eines Prozesses zur Parteireform auch die Direktwahl des Kanzlerkandidaten durch die Mitglieder ins Spiel bringt.

Das hat zunächst eine ganz nüchtern-taktische Seite: Die Union ist keine Partei, die das innerparteiliche Debattieren sehr liebt. Bei den Christdemokraten schätzt man klare Ansagen vom Führungspersonal. Ein bisschen mag sich das geändert haben. Aber heiße Redeschlachten um Spiegelstriche in Parteiprogrammen oder um Organisationsfragen, wie in der SPD oder bei den Grünen üblich - das die Sache der CDU nicht.

Da ist der Hinweis auf eine mögliche Urwahl natürlich ein Weckruf, der die geschätzte Basis zum Mitdiskutieren aktivieren soll. Es ist übrigens auch das kluge Anerkennen, dass es die SPD-Führung mit ihrer Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag geschafft hatte, eine ganze Partei zu aktivieren. In Zeiten, da Parteien im abschreckenden Ruf stehen, ein stinklangweiliges Innenleben zu führen, macht dieses Paradebeispiel eines politischen Muntermachers natürlich Schule.

Ob die Union tatsächlich ernsthaft über die Option nachdenkt, ihren Kanzlerkandidaten künftig von der Basis bestimmen zu lassen, ist eine ganz andere Frage. Interessant ist dabei vor allem ein Gedanke: Eine Urwahl hat nur dann einen Sinn, wenn die Mitglieder wirklich eine Wahl haben - zwischen inhaltlichen und personellen Alternativen.

Zurzeit ist das in der CDU gar nicht vorstellbar. Es wäre schließlich eine langweilige Abnick-Veranstaltung, wenn sich Bundeskanzlerin Merkel eine erneute Kandidatur per Mitgliedervotum absegnen ließe. Eine Gegenkandidatur wäre aber undenkbar - sie würde als Anfang vom Ende der souveränen Stellung Merkels in ihrer Partei interpretiert werden.

Also bleibt nur ein Schluss übrig: Der CDU-Generalsekretär denkt mit seiner Initiative über Angela Merkel hinaus. Tatsächlich gibt es manchen Beobachter, der es für wahrscheinlich hält, dass die Kanzlerin noch in dieser Wahlperiode einen Wechsel ermöglicht. Angela Merkel hat sich immer ein pragmatisch distanziertes Verhältnis zur Macht bewahrt - und viele Interessen außerhalb der Politik.

Sie könnte auch ohne. Im nächsten Jahr ist sie zehn Jahre an der Macht.Wann immer aber Merkel sich entscheiden wird, den Stabwechsel zu inszenieren, bekommt die Union ein Problem: Kein Nachfolger ist so unumstritten, dass er in der Lage wäre, die Partei im Sturm zu erobern.

Da könnte dann in der Tat eine Urwahl den Kandidaten legitimieren - und der Parteiführung eine heikle Entscheidung im Alleingang ersparen. Zukunftsmusik ohne Zweifel - aber diese Zukunft könnte schneller da sein, als viele heute glauben.

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