Kommentar Zum Tod von Neil Armstrong - Reale Mondfahrer

Viele Menschen wissen heute noch genau, wo sie sich am 21. Juli 1969 aufhielten, als Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Die NASA übertrug das elektrisierende Ereignis live auf die Schwarz-Weiß-Flimmerkisten in aller Welt, und die ARD legte 26 Stunden am Stück hin.

Im ruckelnden Mond-TV erkannten wir in den Gestalten schemenhaft unsere Artgenossen. Man sah das alles und musste es sich doch vorstellen. Eben noch hatten wir "Peterchens Mondfahrt" gelesen, und jetzt waren Armstrong & Co., stellvertretend für uns alle, dort tatsächlich gelandet?

Vieles erscheint heute, betrachtet durch die Alltagsbrille technologischer Selbstverständlichkeiten, unvorstellbar und die Mondreise wie eine Unternehmung von tollkühnen Männern in Seifenkisten. Als US-Präsident Kennedy seine Nation 1961 - 45 Tage nach dem ersten Menschen, einem Sowjetbürger, im All - auf den Mond einschwor, hatten die USA gerade einmal 15 Minuten bemannte Raumfahrterfahrung.

Der damalige Bordcomputer wirkt wie aus der Steinzeit: 30 Kilo schwer, die Tastatur wog 8 Kilo. Man nannte das 1969 einen "Mini-Computer". Ein Handy von heute ist 100 Mal schneller, 300 Mal leichter und hat 200 Mal mehr Speicher. Mancher findet dafür heute ohne Navi schon den Baumarkt um die Ecke nicht mehr und lässt sich trotz Umleitungsschildern nicht beirren - und fährt, geleitet von einer freundlichen Stimme, schnurstracks in die Sackgasse.

Nicht damals Neil Armstrong. Unser Held auf dem Mond übernahm selbst den Steuerknüppel, als im spartanischen Computer ausgerechnet zur Landung das große Chaos ausbrach und aus seiner Sicht einen Crash produzierte.

Indes spiegelt die weltweite Reaktion auf Armstrongs Tod nicht nur die Sehnsucht nach wahren Helden, sondern auch die nach dem großen Staunen in der realen Welt. Hier unterhalten uns unterdessen App & Co. (mit viel mehr Speicherplatz) eher nur mittelprächtig, wie überhaupt die Ausflüge ins Virtuelle meist nur dem Zeitvertreib dienen.

Bald waren die aufregenden Apollo-Missionen jedoch vergessen. Amerika hatte andere Probleme und die Welt ohnehin. Übrig blieb auch ein Foto von der aufgehenden Erde über dem leblosen Mond.

So hatten Menschen die Erde vor 1969 noch nie gesehen. Es war damals dem allzu kleinen Speicher im Bordcomputer geschuldet, dass Armstrong und Kollegen wie normale Touristen unterwegs waren: Klicken, Film rausnehmen - und in einem Labor auf der Erde entwickeln lassen.

Nicht wenige Astronauten ermahnten die Welt immer wieder an die Botschaft dieses Fotos, das unseren Planeten als blauen, belebten Mini-Punkt im weiten, unwirtlichen All zeigte - und reklamierten einen schonenderen Umgang mit der verletztlichen Erde. Auch das ist (fast) vergessen.

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