Kommentar Zweites Vatikanisches Konzil - Mehr Mut

In der Geschichte eines Staates sind 50 Jahre in der Regel ein langer Zeitabschnitt. Für die fast 2000-jährige katholische Kirche ist ein halbes Jahrhundert hingegen eine kurze Zeit.

Insofern ist das am 11. Oktober 1962 eröffnete Zweite Vatikanische Konzil immer noch eine aktuelle Veranstaltung. Und auch die damaligen Beschlüsse sowie der "Geist des Konzils" spielen in der Kirche von heute noch eine wichtige Rolle.

Die wahrscheinlich wichtigste Veränderung: Aus der angestaubten und nur auf Rom ausgerichteten Kirche, die von oben herab auf die Menschen, die Staaten und andere Religionen blickte, ist eine Weltkirche geworden - eine, die sich dem gesellschaftlichen Umfeld öffnete, die im Verhältnis zu anderen Religionen auf den Dialog setzte und die sich den eigenen Mitgliedern gegenüber moderner und frischer zeigte.

Man stelle sich vor, wie viele, besser noch: wie wenige Gläubige heutzutage in die Gotteshäuser kämen, wenn die heilige Messe noch im lateinischen Ritus gefeiert würde.

Die Konzil stärkte aber auch die örtlichen Diözesen - mit der Folge, dass ihre Oberhirten und auch viele Gläubige nun selbstbewusster auftraten. Dass die römische Kurie, aber auch manche Ortsbischöfe in den vergangenen Jahrzehnten hier das Rad wieder zurückgedreht haben, hat etwas damit zu tun, dass der Geist der Kirchenkonferenz nicht mehr überall weht.

Profaner gesagt: dass der Machtanspruch des Papstes nicht selten im Gegensatz zu den Bestrebungen der Ortskirche steht. In Deutschland zeigte sich das etwa im Streit um die Schwangerenkonfliktberatung, in dem die Bischöfe klein beigeben mussten.

Papst Johannes XXIII. hatte den Mut, neue Wege zu gehen. Heute fehlt der Kirche vielfach dieser Mut. Wenn es voran geht, dann in Trippelschritten. Zu oft heißt es "Ja, aber", wo ein entschlossenes "Ja" erforderlich wäre. Zum Beispiel bei der Diskussion innerhalb der Kirche in Deutschland, ob Wiederverheiratete zur Kommunion zugelassen werden sollen.

Oder bei der Frage nach "Aufstiegsmöglichkeiten" für Frauen in der Kirche. Ohne die ehrenamtliche Arbeit der Hunderttausenden von Mädchen und Frauen würde das kirchliche Leben doch glatt zusammenbrechen: in Liturgieausschüssen, Messkreisen, Kommunion- und Firmvorbereitung, dem Lektoren- oder Ministrantendienst sind sie aktiv.

Zudem sind die meisten Gemeindereferenten in den Pfarreien weiblich. Doch nicht einmal das Amt eines Diakons, respektive einer Diakonin steht der Frau offen.

Der Missbrauchsskandal, die hohen Austrittszahlen, der zunehmende Priestermangel - all das zeigt: Die katholische Kirche ist in die Defensive geraten. Wenn sie in einer zunehmend säkularen Welt die Menschen besser erreichen will, muss sie sich um den Abbau des Reformstaus kümmern. Insofern ist die Ausgangslage ähnlich wie vor dem Konzil.

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