Kommentar zur kommunalen Stichwahl Krise nicht gelöst

Meinung | Bonn · Die Stichwahl bei der Kommunalwahl in NRW muss bleiben. Das Problem ist jedoch damit nicht gelöst. Das Niveau der Politik ist in vielen Kommunen inzwischen gewöhnungsbedürftig, kommentiert Helge Matthiesen.

   Vor der Urteilsverkündung des NRW-Verfassungsgerichtshofs im Streit um die kommunale Stichwahlen sitzen die Richter.

Vor der Urteilsverkündung des NRW-Verfassungsgerichtshofs im Streit um die kommunale Stichwahlen sitzen die Richter.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Die Landesregierung hatte die Stichwahl abgeschafft. Das Landesverfassungsgericht holt sie jetzt zurück. Das Sondervotum dreier Richter unterstreicht, dass unterschiedliche Meinungen zum Thema angebracht sind.

Denn weder die Landesregierung noch das Verfassungsgericht lösen das Problem, welches am Anfang dieser Auseinandersetzung stand. Die Kommunalpolitik ist in einer tiefen Krise. Die sinkende Wahlbeteiligung und das große Desinteresse der Bürger sind nur ein Symptom für eine Vielfalt von bedenklichen Entwicklungen. In den Räten tummeln sich immer mehr Splittergruppen mit bisweilen abenteuerlichen Spezialinteressen. Es finden sich immer weniger Kandidaten für Räte und Gremien. Es finden sich vor allem immer weniger ernstzunehmende Kandidaten. Das Niveau der Politik ist in vielen Kommunen inzwischen gewöhnungsbedürftig.

Die Ursachen für diese Krise sind vielfältig. Die Gesellschaft hat sich verändert. Wer beruflich erfolgreich ist, hat meistens keine Zeit, seine dringend erwünschten Fähigkeiten in der Kommune einzubringen. Der kommunalpolitische Betrieb kostet sehr viel Zeit, die selbst Rentner bisweilen nicht mehr erübrigen können. Gleichzeitig sind die Ansprüche der Bürger an die Politiker gewachsen. Und es hat sich eine Kultur entwickelt, engagierte Kommunalpolitiker bisweilen persönlich anzugreifen. Die sozialen Medien verschärfen das Problem. Sie fördern die zerstörerische Haltung einiger Bürger, die ihr eigenes Interesse über alles andere  stellen und die auch vor Drohungen nicht zurückschrecken. Tätliche Angriffe auf Kommunalpolitiker sind inzwischen ein Problem. Neue Formen von Basisdemokratie in Form von Bürgerentscheiden untergraben zusätzlich die Möglichkeiten der gewählten Politik.

All das steht im krassen Widerspruch zu den Sonntagsreden, in denen die Nähe der Kommunalpolitik zu den Sorgen und Nöten der Bürger beschworen wird, ihre Bedeutung als Grundstein aller staatlicher Demokratie.

Weder die Landesregierung, noch das Verfassungsgericht lösen diese Krise mit einem Gesetz oder einem Urteil. Die frohlockende Düsseldorfer Opposition steht genauso ratlos da wie alle anderen auch. Beide Lager sollten erkennen, dass es hier um ein größeres Problem geht, das eine grundsätzlichere Beratung und Behandlung verdient. Antworten sind dringend erwünscht, gerne noch vor der Kommunalwahl im September.

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