Kommentar zur Organspende-Entscheidung Theorie und Praxis

Meinung | Bonn · Aufwühlende Debatte im Bundestag: Zwar kassierten die Befürworter einer weitreichenden Umstellung bei der Organspende eine Niederlage. Es kommen aber Neuregelungen, die mehr Schwerkranken helfen sollen. Ein Kommentar.

  Ein Organspendeausweis.

Ein Organspendeausweis.

Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Es war eine engagierte und sachliche Debatte mit überraschend deutlichem Ergebnis. Nur 292 von 674 anwesenden Abgeordneten befürworteten die Einführung einer „doppelten Widerspruchslösung“ bei der Organspende, die einen Paradigmenwechsel bedeutet hätte. Nun bleibt alles beim Alten – zumindest fast. Denn auch künftig wird die ausdrückliche Zustimmung des Spenders zu Lebzeiten die Grundlage für eine Organentnahme sein, auch wenn die Bürger besser informiert und häufiger darauf angesprochen werden sollen.

Theoretisch spricht bei diesem sensiblen Thema sehr vieles für die beschlossene Variante, denn schließlich geht es um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Doch ob sie auch die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt, die Zahl der Organspenden deutlich zu erhöhen, bleibt abzuwarten. Die Widerspruchsregelung hätte natürlich nicht die Pflicht zur Organspende mit sich gebracht, jedoch die Pflicht, sich mit dem Thema zu beschäftigen und zu entscheiden, wenn sich die Gesellschaft einig ist, dass sie Organspenden will. Und sie hätte die Verwandten im Ernstfall entlastet.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sehen 84 Prozent der Bevölkerung Organspenden positiv. Doch nur 39 Prozent haben den entsprechenden Ausweis. Hier zeigt sich also der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. 2015 etwa haben die Krankenkassen mehr als 70 Millionen Menschen in Deutschland Organspendeausweise nebst Informationen zugeschickt. Die Zahl der Organspenden ist dadurch jedoch nicht signifikant gestiegen, sondern auf niedrigem Niveau geblieben. Warum sollte sich das durch eine erneute Ansprache nun deutlich ändern? Für die 9000 Menschen hierzulande, die auf ein lebensrettendes Organ warten, ist das ein Drama.

Die Zahlen zeigen aber auch, dass es bei vielen Menschen Ängste gibt. Andere verdrängen das Thema wohl einfach. Es gilt jetzt also, Vertrauen zu schaffen, zu informieren und für Transparenz zu sorgen. Das muss einhergehen mit strukturellen und finanziellen Verbesserungen in den Kliniken –  denn auch an diesen Stellschrauben lässt sich drehen.

Die Befürworter beider Varian­ten, über die der Bundestag abgestimmt hat, waren sich einig in dem Ziel, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Es wird sich zeigen, ob die beschlossene Regelung dabei erfolgreich ist und den Praxistest besteht. Sonst muss das Thema erneut debattiert werden.

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