Streit über UN-Migrationspakt Merkel warnt vor "Nationalismus in reinster Form"

Berlin · Es ist Angela Merkels erste Bundestagsrede, seit sie verkündet hat, nach 18 Jahren auf den CDU-Vorsitz zu verzichten. Die Kanzlerin gibt sich für ihre Verhältnisse leidenschaftlich; ebenso wie die unter Druck stehende AfD-Fraktionschefin Weidel, die den Spieß umdreht.

In einer engagierten Rede hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor wachsendem Nationalismus gewarnt und den umstrittenen UN-Migrationspakt verteidigt.

"Dieser Pakt für Migration, genauso wie der Pakt für Flüchtlinge, ist der richtige Antwortversuch, (...) globale Probleme auch international und miteinander zu lösen", sagte die scheidende CDU-Vorsitzende in der Generaldebatte zum Haushalt im Bundestag. Die, die glaubten, sie könnten alles alleine lösen, würden nur an sich denken, kritisierte Merkel. "Das ist Nationalismus in reinster Form."

Es war ihre erste Rede seit der Ankündigung, beim CDU-Bundesparteitag im Dezember nach 18 Jahren nicht erneut für den Parteivorsitz zu kandidieren. Merkel wirkte dabei fast befreit - und konterte auch einen verbalen Rundumschlag der wegen einer Spendenaffäre unter Druck stehenden AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. "Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält", sagte Merkel als Replik auf Weidel.

Die hatte zuvor an die Adresse besonders der CDU gesagt: "Kommen Sie raus aus Ihren Glashäusern und hören Sie auf, mit Steinen zu werfen, die Sie nachher selber treffen." Sie betonte, das Spendengeld an die AfD sei zurückgezahlt worden. "Es gab keine Bargeldkoffer, die hin- und hergetragen wurden und deren Inhalt in Schubladen verschwunden ist , und an deren Verbleib sich niemand mehr erinnern kann oder will", sagte Weidel mit Blick auf die frühere CDU-Spendenaffäre.

Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt gegen Weidel wegen des Anfangsverdachts eines Verstoßes gegen das Parteiengesetz. 2017 wurden 130.000 Euro von einer Schweizer Pharmafirma an Weidels AfD-Kreisverband Bodensee überwiesen. Zudem gab es eine hohe Spende aus den Niederlanden.

Merkel warb eindringlich für den UN-Migrationspakt . Die UN wollen damit erstmals Grundsätze für den Umgang mit Migranten festlegen. Sie betonte aber auch, dass der Pakt nicht rechtlich bindend sei und nationale Gesetzgebung nicht berühre. "Es wird übrigens nichts unterzeichnet, nichts unterschrieben, es ist nicht rechtlich bindend." Gesundheitsminister Jens Spahn, einer der Kandidaten für den CDU-Vorsitz, will, dass der Parteitag Anfang Dezember darüber noch einmal debattiert. Der Pakt der Vereinten Nationen soll kurz danach bei einem Gipfel am 10. und 11. Dezember in Marokko angenommen werden.

Zudem ist ein weiteres Abkommen zum Thema Flüchtlinge geplant. Merkel sagte, dass der Pakt in "nationalem Interesse" sei, weil er die Bedingungen auf der Welt für Flucht und Arbeitsmigration verbessern könne. "Wir wollen, wenn in Katar Stadien gebaut werden, (...) dass die dort arbeitenden Bauarbeiter vernünftig behandelt werden, dass sie nicht ausgebeutet werden, dass es nicht Kinderarbeit gibt."

Merkel sagte, man habe schon seit 2016 über den Pakt gesprochen. Die Flüchtlingskrise habe zudem gezeigt, "wie wichtig es ist, Flucht, aber auch Migration im Zusammenhang des internationalen Kontextes zu lösen und nicht zu glauben, irgendein Land könnte das alleine".

Generell äußerte sie sich besorgt über den Zustand der Welt, wo es wegen vieler Einzelinteressen und einer Rückkehr des Nationalismus zunehmend schwierig wird, globale Abkommen zu schließen. Die Welt des Kalten Krieges sei schrecklich gewesen, "aber sie war übersichtlich". Heute gebe es verschiedene Zentren, von denen nicht klar sei, wie sie miteinander interagieren werden. Es komme auf jedes Land an, ein starkes Europa sei für Deutschland entscheidend.

Beim Brexit-Vertrag mit Großbritannien setzt Merkel trotz schwieriger Kompromisse auf eine Zustimmung der 27 EU-Staaten. "Wir stimmen diesem Austrittvertrag zu", betonte die Kanzlerin. "Wir haben noch einen Vorbehalt Spaniens", sagte sie mit Hinweis auf die Gibraltar-Frage. Sie hoffe, dass es bis zum Brexit-Sondergipfel am Sonntag eine Lösung gebe. Das Gebiet am Südzipfel Spaniens steht seit 1713 unter britischer Souveränität, wird aber von Spanien beansprucht.

SPD-Chefin Andrea Nahles sagte, der Ausstieg Großbritanniens aus der EU sei eine Zäsur. "Wir müssen mehr Zusammenarbeit wagen." In der Debatte um den Etat des Außenministeriums sagte Minister Heiko Maas (SPD), die Bundesregierung wolle sich künftig noch stärker für weltweite Abrüstung einsetzen. "Es geht dabei um nicht mehr oder weniger als die Überlebensfrage der Menschheit", sagte Maas. Der SPD-Politiker hält beispielsweise eine Rettung des Verbotsvertrags für atomare Mittelstreckenraketen, aus dem US-Präsident Donald Trump aussteigen will, noch für möglich. "Wir wollen nicht, dass nukleare Mittelstreckenraketen wieder in Deutschland stationiert werden."

Bei Gesamtausgaben von 356,4 Milliarden Euro sind für den Etat des Kanzleramts 3,24 Milliarden Euro für 2019 eingeplant. Am Freitag soll der Bundeshaushalt, der zum sechsten Mal in Folge ohne neue Schulden auskommen soll, von den Abgeordneten endgültig beschlossen werden. Wegen der sprudelnden Steuereinnahmen gibt es massive Kritik, dass Union und SPD die Bürger nicht stärker entlasten durch Steuersenkungen oder die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags.

Trotz laufender Tilgung liegt die Schuldenlast immer noch bei zwei Billionen Euro - pro Kopf rund 26.520 Euro. Neben Entlastungen bei Krankenkassenbeiträgen und Rentenverbesserungen stehen vor allem Familien 2019 im Fokus: Es wird ein Entlastungspaket von jährlich 9,8 Milliarden Euro geschnürt. Bei den Sicherheitsbehörden und beim Zoll sind tausende neue Stellen geplant.

FDP-Chef Christian Lindner warf der Bundesregierung unsolide Haushaltspolitik vor. "Baukindergeld, Mütterrente, Brückenteilzeit und, und, und - alles überwiegend konsumtive Ausgaben", sagte Lindner. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf der großen Koalition Selbstbeschäftigung vor. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht meinte, die Koalition tue zu wenig für ärmere Menschen. An vielen gehe das Wachstum vorbei.