Einwohnerversammlung in Bad Neuenahr-Ahrweiler Mittelpunkt der offenen Diskussion war Überalterung der Gesellschaft
KREISSTADT · "Heute ist ein Startschuss für eine offene Diskussion darüber, was sich angesichts der demografischen Entwicklung in unserer Stadt ändern wird", meinte Guido Orthen, Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, gleich zu Beginn einer Einwohnerversammlung, in deren Mittelpunkt die anstehende Überalterung der Gesellschaft stand.
Die Diskussion kommt - wie in anderen Städten auch - etwas spät. Längst sind die Weichen unumkehrbar gestellt. Die Kreisstadt, ihre Dienstleistungsunternehmen, der Einzelhandel oder auch die Kommunalpolitik müssen sich in ihrer weiteren Gestaltung von Angebot und Infrastruktur an Parametern messen lassen, um zu erkennen, dass nichts bleiben wird, wie es ist.
"Schaukelstuhl oder Schaukelpferd?" lautete die Frage, die Demografiefachmann Winfried Kösters auf Einladung der Stadt beleuchtete. In jedem Fall wird es in Bad Neuenahr-Ahrweiler in Zukunft weitaus mehr Schaukelstühle als Schaukelpferde geben. Lange dauert es nicht mehr, dann wird jeder zweite Bewohner der Stadt über 60 Jahre alt sein.
Beträgt das Durchschnittsalter derzeit 49,8 Jahre, so liegt es in 2030 bei 59,8 Jahren. Die Bevölkerungszahl wird um 5,3 Prozent sinken. Ein Wert, den Bad Neuenahr dem Umstand zu verdanken hat, dass die Kur- und Badestadt ungebrochen das Ziel vieler Zuzugswilliger ist. Dabei handelt es sich allerdings in der Regel eher um ältere Menschen.
Die Zahl der Sterbefälle und die der Geburten klaffen indes weit auseinander: 416 Sterbefälle in 2012 standen lediglich 165 Geburten gegenüber. Die Prognose: Nur 11,1 Prozent der Kreisstadtbewohner werden im Jahre 2030 jünger als 18 Jahre sein, 41,2 Prozent gehören dann der Generation Ü65 an, 15,1 Prozent werden gar älter als 80 sein.
Keineswegs weist Bad Neuenahr-Ahrweiler damit ein Alleinstellungsmerkmal auf. Bundesweit wurden im Jahre 2009 erstmals seit der "Erfindung" der Statistik mehr Menschen über 65 Jahre denn unter 20 Jahre gezählt. Weniger, älter und bunter werde das gesellschaftliche Gefüge, so Referent Winfried Kösters.
Sinkende Geburtenzahlen mit weniger jungen Menschen, steigende Lebenserwartungen und mehr ältere Menschen (die Zahl der Hochbetagten steigt bis 2030 um 70 Prozent) sowie ausgeprägte "Wanderungsbewegungen" seien die äußeren Merkmale der Entwicklung. Kösters Kernbotschaft: "Wir brauchen jedes Kind.
Wir können es uns nicht mehr erlauben, auf ein Kind, beziehungsweise ein Talent zu verzichten." Weitere Botschaft: "Wir brauchen ein neues Bild vom Alter, von den Alten und vom Altern." Und: "Ab 2020 liegt die strukturelle Mehrheit bei jeder Wahl bei den Menschen über 50 Jahren." Große Bedeutung komme der Zuwanderung zu. Die Qualität der Zuwanderung sei jedoch steuerbar.
Kösters: "Wir brauchen die Potenziale der zugewanderten Menschen und der künftig Zuwandernden. Es gilt die Chancen zu kommunizieren, nicht die Defizite." Annehmen und gestalten laute die Devise, der allerdings eine in Deutschland ausgeprägte Angst vor Überfremdung durchaus entgegenstehen könnte.
"Wir müssen lernen, in Zielen zu denken, nicht mehr nur in Maßnahmen", erklärte der Demografieexperte. Das erfordere Mut. Nämlich den Mut, "aus bestehenden Denksystemen herauszutreten".