Angelika Mauel: "Ich bin für eine freie Kindheit"

Die schreibende Erzieherin verarbeitet den Kindergartenalltag in satirischen Dialogen

Angelika Mauel: "Ich bin für eine freie Kindheit"
Foto: Sascha Stienen

Die freie Autorin Angelika Mauel hat jahrelang als Erzieherin in Kindergärten in Bonn, Bornheim und im Rhein-Sieg-Kreis gearbeitet. Am Mittwoch, 28. Oktober, schlüpft die 49-Jährige in der Beueler Bezirksbibliothek in die Rolle von "Irmgard Icks, der Erzieherin mit den zwei Gesichtern" (Brückenforum, 19 Uhr, Eintritt frei).

Über die Hintergründe für ihre szenische Lesung sprach die Bonnerin mit Sascha Stienen.

General-Anzeiger: Frau Mauel, wer ist diese Irmgard Icks?

Angelika Mauel: Irmgard ist eine 35-jährige Erzieherin, die ihren verkitschten und verplanten Berufsalltag nur noch mit Besinnungspausen ertragen kann. In allen Kindergärten, in denen sie als Springerin arbeitet, findet sie etwas zu bekritteln und teilt ihre Beobachtungen ihrem jüngeren WG-Nachbarn Asmus mit. Der ist Soziologiestudent und kommentiert die Erlebnisse der Erzieherin.

GA: Was stört Sie an den Kindergärten?

Mauel: Ich bin für eine freie Kindheit, was heute nicht mehr in allen Einrichtungen gewährleistet ist. Ich bin auf dem Bauernhof aufgewachsen. Da waren wir früher weitestgehend uns selbst überlassen. Unsere Freude an Entdeckungen war noch etwas Ursprüngliches. Wir wurden nicht andauernd beobachtet, animiert, kritisiert und gelobt.

GA: Und wenn es mal Streit gab?

Mauel: Natürlich haben auch wir uns gezankt, aber ohne dass die Erwachsenen eingegriffen hätten. Wir haben uns trotzdem nicht die Augen ausgestochen.

GA: Aber Eltern wollen doch, dass ihre Kinder gut behütet sind?

Mauel: Sicher, darum geht es ja auch nicht. Mir geht es um mehr freies Spiel und ausreichend Platz zum Draußenspielen. Und: Die Kinder müssen auch mal alleine sein dürfen.

GA: Was machen ihre Erzieher-Kolleginnen falsch?

Mauel: Viele Erzieherinnen leisten vorauseilenden Gehorsam und trauen sich kaum, zur eigenen Meinung zu stehen. Da werden zweifelhafte Sprachtests durchgeführt, und Erzieherinnen, die gegen frühen Leistungsdruck sind, entwerfen am PC bereits Urkunden für Kleinkinder. Sie lassen sich auf Bildungspläne ein, legen Portfolios an und füllen Beobachtungsbögen zu jedem Kind aus.

GA: Warum ist das so schlecht?

Mauel: Auf Kinder einzugehen, ist häufig ein emotionaler Prozess. Wenn ich mich in die distanzierte Rolle des Beobachters drängen lasse, kann es sein, dass ich meine Intuition unterdrücke und meine pädagogische Arbeit dadurch schlechter wird. Weil ich auch da Distanz aufbaue, wo Nähe nötig wäre.

GA: In ihren Texten kritisieren Sie auch die Familienzentren. Warum?

Mauel: Familienzentren sind meist mindestens dreigruppig angelegt. Wenn in einer großen Einrichtung 20 Kinder gleichzeitig eingewöhnt werden, müssen Kinder und Erzieherinnen sehr viel Weinen aushalten.

GA: An einer Stelle regt sich Irmgard über das Essen auf...

Mauel: Möchten Sie mal Rührei probieren, das stundenlang korrekt bei 70 Grad in einer Thermobox warm gehalten wurde? - In den wenigsten Einrichtungen wird frisch gekocht. Viele Einrichtungen sind mit ihrem Catering-Service unzufrieden.

GA: Wie sieht es denn beim Thema Gesundheit in den Kindergärten aus?

Mauel: Die Kinder sind zu oft krank. Viele sind in überfüllten, feucht-warmen Gruppenräumen untergebracht, in denen sich Krankheitserreger rasant vermehren können. Hinzu kommt, dass viele Eltern sich aufgrund ihrer beruflichen Situation gezwungen sehen, ihre Kinder krank in die Einrichtung zu bringen. Ich kenne Kindergärten, in denen riechen die Toiletten nach Antibiotika.

GA: Was halten Sie vom Ausgang des Kindergartenstreiks?

Mauel: Meiner Meinung nach hätten die Kolleginnen und Kollegen einen vorteilhafteren Tarifabschluss verdient. Ich glaube, dass viele es vor der Eingewöhnung der Kindergartenneulinge nicht übers Herz gebracht haben, gegen diesen Abschluss und somit auch für eine Fortdauer des Streiks zu stimmen.

GA: Und die gesundheitlichen Berufsrisiken?

Mauel: Immer mehr Erzieherinnen bekommen Tinnitus aufgrund eines Geräuschpegels, der auch den Kindern am Ende nicht gut tut. Und das Sitzen auf kleinen Stühlen und eine dem Kind zugewandte Körperhaltung begünstigen Schäden an der Hals- und Lendenwirbelsäule. Unsere derzeitigen Arbeitsbedingungen bescheren uns gesundheitliche Probleme, die sich nicht problemlos auskurieren lassen.

GA: Werden Sie von manchen nicht als Netzbeschmutzerin wahrgenommen?

Mauel: Ja. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich schreibe. Früher waren meine Kolleginnen mir gegenüber tendenziell etwas zurückhaltend. Aber mittlerweile sind sie offener für Kritik an unseren "Kinderparadiesen".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort