Von der ISS Astronaut Alexander Gerst ist zurück auf der Erde

Moskau · Die Sojus-Raumkapsel mit dem deutschen Astronaut Alexander Gerst an Bord setzte kurz nach 6.00 Uhr MEZ in der kasachischen Steppe auf. Gerst war mehr als ein halbes Jahr im All.

Nach rund einem halben Jahr an Bord der Internationalen Raumstation hat der deutsche Astronaut Alexander Gerst die ISS wieder verlassen. Die Sojus-Kapsel mit Gerst, der US-Astronautin Serena Auñón-Chancellor und dem russischen Kosmonauten Sergej Prokopjew dockte in der Nacht gegen 02.40 MEZ planmäßig von der ISS ab. Wenn alles ohne Komplikationen läuft, dauert der Flug zur Erde rund dreieinhalb Stunden.

Die Sojus-Kapsel soll planmäßig um 6.04 Uhr (MEZ) in der kasachischen Steppe landen. Gerst soll noch am Vormittag nach Deutschland geflogen werden.

Astronauten haben kommunikativ zu sein. Nicht nur, weil sie im All oft monatelang fast ohne Privatsphäre miteinander auskommen müssen. Sondern auch, um die Raumfahrtfans in der Heimat auf dem Laufenden zu halten.

Alexander Gerst hat seinen kosmischen PR-Job mit Hingabe erledigt. Allein im Dezember twitterte er über 40 Kurznachrichten aus dem All. Die Öffentlichkeit kennt ihn unter seinem Twitter-Kürzel: Astro_Alex.

Nicht frei von Zwischenfällen

Der All-Aufenthalt des Geophysikers aus Künzelsau war nicht frei von Zwischenfällen. Mehrere Wochen lang musste Gerst, 42, eine unterbesetzte ISS-Mannschaft kommandieren, weil Mitte Oktober der Start einer russischen Sojus-Rakete scheiterte, die die Raumfahrer Tyler Hague und Alexej Owtschinin zur ISS befördern sollte. „Raumfahrt ist hart“, twitterte Gerst über die Notlandung der Kollegen. „Aber wir müssen weitermachen, zum Wohle der Menschheit.“

Zwei Ausflüge des Deutschen ins All fielen aus. Und schon Ende August war es zum Druckverlust in der Station gekommen, wegen eines winzigen Lecks in der Außenwand einer angedockten Sojus MS-09-Raumfähre. Für Gerst und seine Kollegen keine große Sache, in Russland aber Anlass für heftige Verdächtigungen gegen die US-Astronauten. Die ISS gilt als das letzte gemeinsame Großprojekt Russlands und des Westens, das halbwegs reibungslos funktioniert. Aber die Harmonie scheint sich immer mehr auf die Station zu beschränken.

Wie seine Kollegen twitterte Gerst mit Vorliebe Fotos der Erde. Sein russischer Kollege Oleg Artjomow versendete immer wieder Aufnahmen russischer Städte und Landschaften. US-Astronaut Andrew Feustel offenbarte eine Vorliebe für Formel-1-Rennen, sendete Weltraumfotos der Grand-Prix-Rennstrecken Monza oder Sotschi.

Öffentlichkeitsarbeit aus dem All

Gerst lieferte schöne, aber auch erschreckende Fotos vom Smog über irdischen Ballungsgebieten, vom Kahlschlag im Regenwald oder von schmelzenden Gletschern. „Vielleicht werden unsere Enkelkinder Gletscher nur noch von Bildern kennen.“ Astro_Alex sorgt sich um die Umwelt, gleichzeitig zitiert er den Sowjetpianisten Sergei Prokofjew, um die Kameraden an Bord zu loben, und Herman Melville „Moby Dick“, um seine Faszination für das ISS-Abenteuer zu vermitteln. „Ich liebe es, auf verbotenen Meeren zu segeln.“

Gerst schaltete sich aus der ISS zu einem Konzert der Gruppe Kraftwerk und zum Bürgerfest des Bundespräsidenten dazu, er predigte Angst ums Klima, Fortschritts- und Technikhoffnung zugleich. Zu David-Bowie-Weltraumlyrik gesellte er Grüße an die Raumfähre Erde: „Engagierte Crewmitglieder ohne Panik aber mit Verantwortungsbewusstsein sind auf allen Raumschiffen sehr wichtig!“ Russische Experten rätseln, ob ein ganzes PR-Team der Europäischen Raumfahrtagentur ESA hinter den kosmisch-philosophischen Botschaften von Astro_Alex gestanden hat.

Aber Öffentlichkeitsarbeit aus dem All scheint inzwischen zum Berufsbild aller Raumfahrer zu gehören. So wie Teamgeist, technische Intelligenz, handwerkliches Geschick. Das Loch von winzigen zwei Millimetern Durchmesser in der Sojus MS-9-Außenwand entdeckte das Team Ende August schnell mit Hilfe eines Infrarot-Gerätes. Sauerstoff entwich, aber so langsam, dass die Lage erst 18 Tage später lebensgefährlich geworden wäre.

Ein komischer Skandal

„Gestern hat sich wieder gezeigt, wofür unser Notfalltraining gut ist“, twitterte Gerst hinterher. Ein eher harmloser Notfall, nicht zu vergleichen mit dem Leck auf der Mir-Station 1997. Damals hatten Russen und Amerikaner ihr Leben riskiert, um die Station zu retten. Die russischen Kosmonauten dichteten das Leck mit Zweikomponentenkleber ab.

Trotzdem wurde ein kosmischer Skandal daraus. Der Abgeordnete und Ex-Kosmonaut Maxim Surajew meinte, vielleicht habe ja ein „psychisch labiles“ Besatzungsmitglied die Wand angebohrt. Dann verdächtigten die Zeitung "Kommersant" und andere Medien die US-Astronauten an Bord immer massiver: Kommandant Feustel habe versucht, die Reparatur zu verzögern, indem er vorschlug, sich erst Rat bei den Bodenstationen zu hohlen.

Aber unten, in Russland, verkündeten die Medien, eines der US-Besatzungsmitglieder sei krank geworden, die Amerikaner hätten das Leck benutzen wollen, um den Patienten vorzeitig zu evakuieren.

Friedlichkeit im All

Unklar allerdings, warum die Amerikanerin, wenn sie ernsthaft krank war, erst jetzt mit Gerst den Rückflug zur Erde antrat und nicht schon im Herbst, anstelle ihres Landsmannes Feustel. Der Moskauer Raumfahrtexperte Igor Lissow rät: „Lesen Sie keine russischen Zeitungen!“ Beim Thema Raumfahrt scherten sich die Medien des Landes oft nicht um die Wirklichkeit.

Wenige Tage vor seinem Abflug leitete Gerst noch eine Operation zweier Russen, die im offenen All das durchbohrte Stück Außenhülle der Sojus-Kapsel austauschten. Sie soll zur Erde gebracht und in einem Labor des russischen Geheimdienstes FSB untersucht werden.

Bleibt abzuwarten, wen die russischen Behörden danach für das Leck verantwortlich machen wollen. Aber glaubt man dem Deutschen Gerst, dann ist es im All viel leichter, friedlich miteinander auszukommen als auf der Erde. „Einer der wenigen Momente während dieser Mission, in dem ich nervös war, und Sergey Angst hatte“, twitterte er im November. Mit einem Foto, auf dem Gerst seinem Kameraden Prokopjew die Haare schneidet.

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