GA-Interview mit Edgar Froese Die Suche nach dem Zeitlosen

Bonn · Die legendäre Band Tangerine Dream kommt zu zwei Konzerten nach Köln. GA-Interview mit dem Komponisten und dem kreativen Kopf der Band Edgar Froese.

 Der Gründer der 1967 in Berlin gegründeten Electronic-Band "Tangerine Dream", Edgar Froese (Archivfoto vom 7. Juli 2006).

Der Gründer der 1967 in Berlin gegründeten Electronic-Band "Tangerine Dream", Edgar Froese (Archivfoto vom 7. Juli 2006).

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Es ist genau 40 Jahre her, dass die BerlinerElektro-Pioniere Tangerine Dream ihr bahnbrechendes Album „Phaedra“herausbrachten. Der amerikanische Musikführer All Music Guide to Electronicabeschreibt das Album als Meilenstein für die Band und als „eines derwichtigsten künstlerischen und spannendsten Werke in der Geschichte derelektronischen Musik". In den britischen Albumcharts erreicht es damalsPlatz 15, in sechs weiteren Ländern Goldstatus. Lediglich in ihrer deutschenHeimat verkauft sich das Album gerade mal 6000mal. Die vielschichtigeGeschichte der 1967 von Edgar Froese gegründeten Formation könnte Bände füllen.

Die Gruppe startete als eher surreale Rockband, die avantgardistische Elementeeinflocht – von Komponisten wie Karlheinz Stockhausen oder des AmerikanersTerry Riley, dem Meister des Minimalistischen, der klassische Musik mit Jazz,Weltmusik und Elektronik verband. Froese entwickelte sich immer weiter hineinin die rätselhafte Welt der Elektronik, seine Ideen und Sounds mit denteilweise bis zu 20 Minuten ausufernden kosmischen Melodien beeinflussten Bandswie Pink Floyd, Steven Wilson von Porcupine Tree, schufen die Voraussetzungenfür die Sounds von Portishead, Moby oder Underworld, und sogar Rammstein-SängerTill Lindemann bezeichnet Tangerine Dream als frühe Inspiration. Am 1. und 2.Juni spielt Tangerine Dream im Theater am Tanzbrunnen in Köln-Deutz. Mit EdgarFroese sprach Cem Akalin.

Herr Froese, wissen Sie, was mir einfiel, als ich Ihre Albenerneut gehört habe? Ich habe an eine Kirche gedacht. Diese Erhabenheit, dasTranszendente Ihrer Musik hat etwas Religiöses. Entspricht das IhrenVorstellungen?
Edgar Froese: Aus meiner tiefsten Überzeugung liegen Weltund Menschheit ein Masterplan zugrunde. Wie diese Tatsache einzuordnen ist undwelche Namen man für diese Tatsachen findet, ist vielfältig. Um meiner Ideeeiner spirituellen Realität nahe zu sein, brauche ich weder Steinkirchen nochKanzelexegesen, jeder Mensch sollte in sich selbst eine ernsthafte Suche nachdiesen Wahrheiten beginnen.

Musik, Malerei, Literatur – In Ihren Anfangsjahren haben Siesich nicht festlegen wollen. Und Ihre Musik scheint eine logischeWeiterentwicklung aus einem ganz eigenen Kunstbegriff zu sein. Habe ich recht?
Froese: Die Trennung der sogenannten Kunstgattungen findetnur in den Köpfen der Betrachter statt. Kreativ zu sein und seine subjektiveSicht der Welt zu formen und auf diverse Arten zu dokumentieren, ist immer dieGrundvoraussetzung. Ob jemand dieses Ziel mit dem Pinsel, dem Klavier odereinem Computer erreicht, ist eigentlich sekundär, solange der Künstler selbstdabei authentisch bleibt.

Was bedeutet Ihnen Kreativität? Ist es für Sie eher einbewusster Prozess, sozusagen im buddhistischen Sinne: „Wer nicht bewusst ist,ist gewissermaßen schon tot.“? Oder sehen Sie sich da eher als Schüler einesJoseph Beuys, der sagte: „Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft dermenschlichen Kreativität.“?
Froese: Sowohl Beuys als auch ein Buddhist hätten recht.Kreativ sein heißt ja nicht Regeln und Dogmen bedingungslos zu folgen, sondernRegeln und Dogmen in Frage zu stellen, um eingefahrene Wege zu verlassen. Wahrist immer die individuelle Sicht auf diese Welt, da es niemals zwei Künstlergeben wird, die Wahrheiten synchronisieren können. Kreativität ist scheuer alsein Reh.

Was meinen Sie damit?
Froese: Sie sucht dieNähe zu den Menschen, die authentisch nach dem Zeitlosen in der Kunst suchen,dort lässt es sich nieder.

Wie haben Ihnen die neuen elektronischen Mittel ab der 60erJahre geholfen, Ihre Vorstellungen von Klangerlebnissen umzusetzen?Froese: Sie waren und sind unerlässliche Werkzeuge, um neuemusikalische Wege beschreiten zu können, nicht mehr aber auch nicht weniger.

War das nicht bisweilen sehr verwirrend, mit den riesigenGerätschaften und den vielen Kabeln das Ergebnis zu bekommen, das Ihnenvorschwebte?
Froese: Ja, es war in der Anfangsphase sehr schwierig undvor allen Dingen sehr zeitaufwendig. Sie müssen eine sehr große Liebe zur Musikbesitzen, um einen solch langen Weg mit immer wieder neuen Herausforderungengehen zu können.

Was war/ist Zufall oder vielleicht kalkulierter Zufall, wiegehen Sie beim Komponieren vor?
Froese: Komponieren ist immer eine Symbiose aus einer gutenKenntnis der Materie, mit der Sie umgehen und dem Auftreten von Zufälligkeiten.Vieles in musikalischen Produktionen kann geplant werden, ob es dann allerdingsqualitativ überdurchschnittlichen Wert besitzt, lässt sich erst viel späterfeststellen.

Gerade live steht auch die Improvisation, also das spontaneKomponieren, im Mittelpunkt. Sie stehenda schon mal mit einer ganzen Truppe an Musikern. Wie funktioniert das?
Froese: Wenn man mit inzwischen sechs Musikern auf der Bühnesteht, ist ein Improvisieren wie es vor 40 Jahren sinnvoll war, unmöglich. Esgibt heute kompositorische Strukturen, an die sich alle Beteiligten halten müssenund die auch eine intensive Probenarbeit voraussetzen. Darüber hinausexistieren Freiräume, in denen jeder Kollege seine individuellen Fähigkeitenund Vorstellungen umsetzen kann.

Die Sounds Ihrer frühen Alben – Phaedra, Rubycon, besondersCyclon – erscheinen mir heute immer noch bemerkenswert modern. Erstaunt Sie daseigentlich selbst?
Froese: Eine immer wiederkehrende Signatur von interessantenWerken in der Musik ist eben diese, von Ihnen umschriebene Zeitlosigkeit. Wirwaren nie Herdentiere, die kommerziellen Stilen oder zeitgemäßen Songstrukturenhinterher gelaufen sind. Das macht das Arbeiten im noch unbekannten Terrain oftmühsam und man hat am Anfang mit sehr viel Gegenwind zu rechnen. Am Ende desTages weiß man allerdings, dass der Weg der richtige war.

Junge Bands wie etwa Opeth oder Steven Wilson greifen wiederverstärkt zu „alten“ Keyboards wie das durch Sie bekannt gewordene Mellotronoder zum Mini Moog. Was macht das Arbeiten mit diesen Keyboards eigentlich sobesonders?
Froese: Menschen ziehen sich auch Jacken an, die vor zwanzigJahren modern waren. Andere haben ihre alten Kleider nie abgelegt. Für mich hatdiese Retro-Bewegung keine Berührungspunkte, da ich diese Klänge und dieAuseinandersetzung mit dem analogen Equipment durchlebt und durchlitten habe.Für mich zählen die abenteuerlichen Entwicklungen im Nano-Bereich,Klangtransformationen, die so unglaublich sind, dass man sie noch gar nichtbeschreiben kann. Was morgen passieren wird, ist wichtig, heute bemühe ich michdarauf hin zu arbeiten, das Neue zu verstehen.

Sie gelten vielen Musikern als Vorbild. Jim Kerr von SimpleMinds bekannte sich kürzlich als großen Tangerine Dream-Fan. Bekommen Sieeigentlich Anfragen von jungen Musikern? Was machen Sie damit? Gibt es Ideenfür Kooperationen?
Froese: Kooperationen sind aus zeitlichen Gründen fastunmöglich. Ja, ich bekomme von jungen Kollegen tatsächlich sehr viele Anfragenüber das Gehen in neue Richtungen und wie ausgetretene Pfade am besten zuverlassen sind.

Was antworten Sie?
Froese: Meine Antwort orientiert sich an einem Ausspruch,den ich von Mozart lernte, der 1789 gefragt wurde, was der beste Weg sei, umMusiker zu werden. Seine Antwort: „Ich habe niemals andere nach meinem Weggefragt.“

Sie haben Ende der 1960 Happening Afternoons mit SalvadorDalí veranstaltet. Gibt es davon eigentlich Tondokumente?
Froese: Leider nicht.

Was dürfen die Fans am 1. und 2. Juni in Köln erwarten?
Froese: Wer TD-Musik kennt und sich mit dieser Klangstrukturidentifizieren kann, wird auf seine Kosten kommen und dies auf einerzweieinhalbstündigen Reise durch das musikalisch-visuelle Abenteuerland mitMehrwertgefühl.

Zur Person

Edgar Wilmar Froese wurde am 6. Juni 1944 in Tilsit geboren.

Froese studierte Malerei und Grafik an der Berliner Akademieder Künste, lernte Salvador Dalí kennen, der ihn nach Spanien einlud, wo ereine Zeit lang bei ihm wohnte. Legendär sind die sogenannten happeningafternoons, eine Art kreativen Wahnsinns aus Musik, Literatur und Malerei.

Im September 1967 gründete Edgar Froese Tangerine Dream, aufDeutsch: Orangeroter Traum. Er ist Mastermind und einziges übriggebliebenesGründungsmitglied.

Froese schrieb eine Reihe von Soundtracks, auch für den„Tatort“. Im vergangenen Jahr erschien das Comouterspiel „Grand Theft Auto V“mit seiner Musik.

Zu seinen musikalischen Weggefährten gehörten Steve Jolliffe(Steamhammer), Klaus Schulze und der Experimentalmusiker Conrad Schnitzler.Langjährige TD-Mitglieder waren etwa Christopher Franke (1971-1988), PeterBaumann (1971-1977), der später das New-Age-Label Private Music gründete,Johannes Schmoelling (1979-1985), Paul Haslinger (1986-1990) und Froeses SohnJerome Froese (1990-2006).

Tangerine Dream spielen live am 1. und 2. Juni ab 20 Uhr imTheater am Tanzbrunnen, Rheinparkweg 1, 50679 KÖLN. Tickets gibt es in denBonnTicket-Shops der GA-Geschäftsstellen.

Discographie(Auszug):

  • 1970 Electronic Meditation
  • 1974 Phaedra
  • 1975 Rubycon
  • 1975 Ricochet
  • 1984 Poland
  • 1989 Lily On The Beach
  • 1999 Mars Polaris
  • 2007 Springtime in Nagasaki
  • 2007 Summer in Nagasaki
  • 2008 Autumn in Hiroshima
  • 2009 Winter in Hiroshima
  • 2009Chandra – The Phantom Ferry Part 1
  • 2013 OneNight in Africa
  • 2014 sollChandra - The Phantom Ferry - Part II erscheinen.
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