Gewalt per App und Alexa In Amerika steigen Fälle von Terror durch Technik

Bonn · In den USA werden die neuen Technologien immer häufiger genutzt, um Partner oder Ex-Partner zu kontrollieren und terrorisieren. Dass es nicht mehr nur um Einzelschicksale geht, zeigt der rapide Anstieg der gemeldeten Fälle.

Der Sicherheitscode der eigenen Tür ist überraschend geändert, die Klimaanlage bläst im Winter plötzlich eiskalte Luft, ständig gehen im Haus die Lichter aus: Was früher in Horrorfilmen die Hauptdarstellerin in den Wahnsinn trieb, wird in den USA zunehmend bittere Realität. Häusliche Gewalt, Stalking und das Terrorisieren (ehemaliger) Partner mit Hilfe neuer Technologien wie App, Alexa und Smart Home erreichen inzwischen Ausmaße, die sich nicht mehr als Einzelfälle kategorisieren lassen.

„Wir werden bereits seit drei, vier Jahren auf dieses Thema angesprochen, sind aber immer sehr vorsichtig damit, so etwas überhaupt zu thematisieren, um nicht potenzielle Täter auf Ideen zu bringen“, erklärt Erica Olsen, Direktorin des „Safety Net Project“ im Nationalen Netzwerk zur Beendigung Häuslicher Gewalt (NNEDV). „Aber mittlerweile ist es immer häufiger ein Thema, mit dem auch Polizeibeamte konfrontiert werden, und wir müssen feststellen, dass es seit der Einführung von Alexa, Cortana und Google Home sowie der Verbindung von Sicherheitssystemen und Handys einen deutlichen Anstieg gibt.“

Smarte Wege der Gewalt

Die Beispiele, von denen Erica Olsen berichtet, zeigen, wie bösartig die verschiedenen neuen Technologien kombiniert werden können, um die Opfer zu terrorisieren. „Ich kenne den Fall einer Frau, die nach einer Trennung die ganze Nacht vom Ex-Partner wachgehalten wurde, da dieser das Soundsystem so manipuliert hatte, dass permanent laute Musik durch Haus dröhnte. Und die dann am Morgen eine SMS mit der Frage Hast Du schlecht geschlafen? erhielt“, berichtet Olsen – wobei sie konsequent die in den USA übliche Terminologie von Überlebender/-dem (Survivor) und Missbrauchender/-dem (Abuser) verwendet, statt von Opfern und Tätern zu sprechen.

Von ähnlichen Erlebnissen berichtete die New York Times kürzlich, die mehr als 30 Interviews mit Missbrauchsopfern, Anwälten, Frauenhausmitarbeitern und Nothelfern geführt hat. Und dabei von „smarten“ Wegen der Gewalt und Kontrolle erfahren haben, in denen die Opfer mittels alltäglicher Gegenstände im eigenen Haus geängstigt, kontrolliert, belauscht, gefilmt oder eingeschüchtert wurden.

So berichtet Gabriela Rodriguez, die eine Einrichtung für die Opfer häuslicher Gewalt in Kalifornien betreibt, von Fällen, in denen aus der Ferne der Thermostat der Wohnung in der Nacht auf 40 Grad hinaufgedreht wurde. Womit häufig neben schlaflosen Nächten auch noch für eine hohe Stromrechnung gesorgt wird, was finanziell geschwächte Partner nach der Trennung dann gleich auf zwei Ebenen trifft, wie Olsen weiß.

Kontrolle durch Smart Home

Mitarbeiter der Nationalen Helpline gegen häusliche Gewalt berichten von Anrufern, die sich in ihren eigenen vier Wänden durch die Smart Home Technologie überwacht und kontrolliert fühlen. Und Ruth Patrick, die ein Programm zum Schutz vor häuslicher Gewalt im Silicon Valley leitet, kennt sogar Fälle, in denen die Opfer – die überwiegend, aber nicht alle weiblich waren – in der Psychiatrie landeten, weil ihre Geschichten so verrückt klangen. „Wenn man der falschen Person erzählt, dass der Noch-Ehemann jede Bewegung im Haus kennt und mithört, was im Schlafzimmer gesprochen wird, fängt man manchmal an, verrückt zu wirken“, berichtet die Sozialarbeiterin in der New York Times. „Es ist einfacher zu glauben, dass jemand verrückt ist, als dass all diese Dinge wirklich passieren.“

Aber sie passieren immer öfter, wie schon 2016 die australische Soziologin Delanie Woodlock von der Universität von Neuengland in einer Studie festgestellt hat. „Die Technologie wurde genutzt, um ein Gefühl zu erzeugen, dass der Täter omnipräsent sei; um die Opfer zu isolieren, zu strafen und zu erniedrigen“, fasst die Wissenschaftlerin in der Fachzeitschrift Psychology Today die Ergebnisse ihrer Studie zusammen.

Diese Technologie gehört in immer mehr Haushalten zur Normalität, zumal es manche Geräte bereits für umgerechnet weniger als 35 Euro gibt. So waren laut einer McKinsey-Studie im Jahr 2017 rund 29 Millionen Haushalte in den USA mit Smart-Home-Technik ausgestattet, die jährlichen Zuwachsraten liegen bei 31 Prozent. Noch immer sind es dabei überwiegend die Männer in einer Beziehung, die sich für die Technik interessieren, sie installieren, die Passwörter vergeben und sich damit befassen, wie sie verwendet – und missbraucht werden kann. Und häufig auch als einzige die App auf ihrem Handy haben – und damit die Kontrolle darüber, was in der Wohnung passiert.

Kontaktverbot für Haustechnologie

„Es kommen meist mehrere Faktoren zusammen, die es den Opfern schwer machen, sich zu wehren“, erklärt Olsen. „Zum Beispiel sind auch die Verträge mit den Technologie-Anbietern meist so gestaltet, dass es nur einen Vertragspartner gibt, und oft ist das der finanziell stärkere Partner in einer Beziehung.“ Hier herrsche Handlungsbedarf, sowohl in Zusammenarbeit mit den Anbietern, aber auch mit den Polizeibeamten oder anderen Exekutiv-Organen, damit beispielsweise bei einem Kontaktverbot auch der Zugriff auf die Haustechnologie unterbunden wird.

Davon abgesehen sei auch die Rechtslage im Moment noch schwierig, denn grundsätzlich sind das Spielen lauter Musik, das Hinauf- oder Herunter-
drehen der Temperatur oder das Ändern des Türcodes noch keine Straftaten, die man einfach anzeigen kann. „Deswegen raten wir Betroffenen immer, alles zu dokumentieren, um ein Muster aufzeigen zu können“, so Olsen. Denn sobald ersichtlich werde, dass es sich dabei um Maßnahmen handelt, mit denen die Opfer terrorisiert werden sollen, würden beispielsweise Stalking-Gesetze greifen, mit denen man durchaus eine Hand-
habe gegen die Täter erwirken könne.

In anderen Fällen griffen Gesetze gegen Hausfriedensbruch (wenn sich jemand rechtswidrig über den Türcode Zutritt verschafft) oder gegen Betrug (wenn der Täter sich als eine andere Person ausgibt, um Zugriff auf das Passwort zu erhalten). Denn das Muster hinter dem Missbrauch per App und Alexa ist nicht neu; lediglich die Methoden haben sich geändert. Es geht dabei immer um Macht und Kontrolle. Das kann heute eben leichter und anders erreicht werden als noch zu Zeiten des Festnetztelefons.

Was aber nicht heißt, dass der Missbrauch selbst dadurch zunimmt, wie Olsen betont: „Die Täter tun das gleiche, was sie immer getan haben; jetzt gibt es lediglich eine Evolution der technischen Mittel“, so die Netzwerksleiterin. „Früher war es der Kilometerstand des Autos, der jeden Tag abgelesen wurde, um zu kontrollieren, dass der Partner wirklich nur zur Arbeit und zurück gefahren ist.“ Heute lasse sich durch das Navi nicht nur kontrollieren, ob es einen Umweg gab, sondern auch, wann dieser wohin geführt hat.

Was aber nicht bedeute, dass die neuen Technologien das Problem seien, ganz im Gegenteil. Richtig genutzt können sie Opfern, die sich aus einer Missbrauchs-Beziehung befreit haben, große Dienste erweisen: „Gerade für solche Survivors ist es Gold wert, wenn sie auf dem Nachhauseweg im Auto von ihrem Handy aus die Außenbeleuchtung ihres Hauses anstellen und sich per Kamera überzeugen können, dass niemand hinter der Hecke auf sie lauert“, so Olsen.

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