Künstliche Intelligenz So sollen Roboter gegen den Pflegenotstand helfen

Bonn · In einer überalternden Gesellschaft verschärft sich der Fachkräfteengpass in der Pflege immer weiter. Pflegeassistenzroboter werden bereits getestet. Doch wie weit darf die Unterstützung durch Maschinen gehen?

Vorsichtig streckt die ältere Dame ihre Hand aus und berührt die weißen Finger des Roboters. Erst schreckt sie etwas zurück, dann fasst sie zu: "Ach, der ist ja so goldig", sagt sie und lacht. "Es ist schön", quakt es plötzlich metallisch zurück. Wieder lacht die Frau: "Ich freu mich, dass du da bist!", sagt sie, "und ich hab dich lieb. Hast du mich auch lieb, ja?" Zurück kommt nur ein Blinzeln der großen Augen in dem runden Robotergesicht.

Einmal pro Woche ist Serviceroboter "Robbie" im Marienheim in Siegen zu Gast. Rainer Wieching leitet an der dortigen Universität am Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Neue Medien die Forschungsgruppe "Angemessene Robotik in der Altenpflege", in der zwei Roboter vom Typ Pepper im Einsatz sind. Wieching und seine Kollegen und Studierenden explorieren, wie und in welchem Maß "Robbie" und Co. in Senioren- und Pflegeheimen von den Bewohnern und Fachkräften akzeptiert werden. Im Rahmen des laufenden Wissenschaftsjahres "Arbeitswelten der Zukunft" reist er mit seinem Team und den 1,20 Meter großen Robotern durch ganz Deutschland, stellt sie auf Workshops, Kongressen und Messen vor.

Dass das Interesse an Pflegeassistenzrobotern groß ist, erstaunt nicht: Schon heute gibt es durch den demografischen Wandel einen Fachkräftemangel in fast allen Gesundheits- und Pflegeberufen. Laut Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit stehen in keinem Bundesland rechnerisch ausreichend arbeitslose Bewerber zur Verfügung, um die Stellen in der Altenpflege zu besetzen. Der Pflegereport 2030 der Bertelsmann Stiftung prognostiziert, dass bis 2030 fast 500 000 Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen, wenn sich die Trends fortsetzen. Vielerorts wird bereits geforscht und getüftelt, um Maschinen und Systeme zu entwickeln, die Pfleger unterstützen könnten. Konkret wird der Einsatz bereits in Garmisch-Partenkirchen, wo noch 2018 ein Pilotversuch des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrtzentrum und der Caritas starten soll: Die ursprünglich für die Raumfahrt entwickelten Hightechroboter Justin und Edan reichen Getränke, bringen Tabletten, decken das Bett ab.

Fest steht: Die Maschinen selbst werden den Fachkräfteengpass nicht auflösen. Sie sollen nur Helfer sein, betont Heidemarie Kelleter, Referentin für Qualitätsberatung beim Diözesan-Caritasverband im Erzbistum Köln: "Roboter sollen und können Pflegefachkräfte nicht ersetzen, aber sie können zu ihrer Entlastung beitragen."

Auch der in Siegen zum Einsatz kommende Roboter soll niemandem den Job wegnehmen, sondern vielmehr das Personal unterstützen, Pausen füllen und die Senioren physisch, kognitiv und psychosozial aktivieren, etwa indem er sie zum Singen und Tanzen oder zu einfachen Fitnessübungen animiert oder mit ihnen Memory spielt. "Zu Beginn sind die Menschen skeptisch, manche haben auch Angst", erzählt Wieching, "aber vor allem die Frauen sind schnell begeistert und würden den Roboter am liebsten mitnehmen." Roboter des Typs Pepper sind mit der richtigen Programmierung auch in der Lage, einfache Emotionen zu erkennen und das Roboterverhalten daran anzupassen. Aber wird damit der - möglicherweise demente - Mensch nicht getäuscht? "Schon lange wird in der Pflege mit Hilfsmitteln, zum Beispiel Puppen, Streicheltieren und Ähnlichem gearbeitet", sagt Rainer Wieching. Wenn der Mensch für den Moment glücklich sei, sei schon viel gewonnen. "Mancher würde lieber von technischen Geräten gewaschen als von fremden Menschen, haben Umfragen ergeben. Aber das muss jeder. so gut es geht, für sich selbst entscheiden."

Gemeinsam mit Pflegefachkräften und Senioren erarbeiten Wieching und sein Team Konzepte und Szenarien, die in Zukunft praktische Anwendung finden könnten. "Wir nennen das partizipatives Design", erklärt er. Der Plan: Irgendwann sollen Pflegefachkräfte auch ohne Programmierkenntnisse in der Lage sein, den Roboter anhand diverser Apps zu steuern und an ihren aktuellen Bedarf anzupassen. Wieching sieht darin auch eine weitere Chance: "Der technologische Aspekt könnte den Pflegeberuf für die jungen Menschen in Zukunft interessanter machen."

Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Typen von Robotern, die für einen Einsatz in der Pflege geeignet wären: Neben den Info- und Navigationsgeräten gibt es Maschinen, die etwa Dinge bringen und holen können. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart hat einen "intelligenten Pflegewagen" und einen robotischen Serviceassistenten entwickelt. Die dritte Kategorie potenzieller Pflegeroboter ist die, die tatsächlich Hand anlegt, etwa Patienten hilft, sich aufzurichten, oder sie umbettet. Die Kategorien und ihre Merkmale verschwimmen zusehends, stellt Roboterphilosoph Oliver Bendel (siehe Interview) fest. Er glaubt, dass Roboter gerade in der Pflege bald einen Platz haben könnten. "Sollten sich Co-Robots, also Kooperations- oder Kollaborationsroboter, die man aus der Industrie kennt, durchsetzen, kann das meiner Meinung nach ganz schnell gehen", sagt Bendel. Die modernsten Co-Robots müssen sich eine bestimmte Bewegung nur noch abschauen und beherrschen sie dann. "Sie sind speziell für die Zusammenarbeit mit Menschen geschaffen und dürfen diesen sehr nahe kommen", so Bendel. "Dieser Kategorie traue ich zu, den Markt zu erobern."

"Robbie" ist kein Roboter dieser Kategorie. Dafür hat er mit seiner Gesprächspartnerin in Siegen gerade zu "Schön ist es auf der Welt zu sein" geschunkelt. "Sollen wir beim nächsten Mal wieder tanzen?", fragt er nun blechern. "Aber unbedingt", antwortet die Seniorin und strahlt.

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