Essay zur Smartphone-Nutzung Totale Kontrolle

Bonn · Smartphones sind allgegenwärtig. Der Seitenblick auf das Handy während eines Gesprächs ist mittlerweile üblich. Doch viele nutzen es auch als Kontrollinstrument. Was passiert, wenn wir dem Smartphone mehr trauen als unserem Gegenüber?

 Die Menschheit senkt den Blick vor dem Smartphone: In unserer globalisierten Welt nähern sich verschiedene Kulturen durch ihr Konsumverhalten einander an. Vor ein paar Jahren noch als „typisch“ asiatisch belächelt, ist es heute auch bei uns der Normalfall: In Bus und Bahn starrt fast jeder gebannt auf sein Smartphone und schirmt sich von seiner Umgebung ab.

Die Menschheit senkt den Blick vor dem Smartphone: In unserer globalisierten Welt nähern sich verschiedene Kulturen durch ihr Konsumverhalten einander an. Vor ein paar Jahren noch als „typisch“ asiatisch belächelt, ist es heute auch bei uns der Normalfall: In Bus und Bahn starrt fast jeder gebannt auf sein Smartphone und schirmt sich von seiner Umgebung ab.

Foto: picture alliance / dpa

Kleine Lichter, wo man auch ist und wohin man auch sieht: Am Gleis, im Bus, auf der Arbeit, im Café, beim Sport, am Esstisch. Smartphones sind omnipräsent. Leider ist das Display meist das einzige, was das Handy erleuchtet. Von der Erleuchtung seiner Besitzer keine Spur.

Das Smartphone hat seine Rolle in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut: Einst Statussymbol einiger Manager, die auch unterwegs ihre E-Mails checken und im Netz surfen können mussten, inzwischen schon im Besitz von Fünftklässlern. Und zwar nicht, weil sie ohne Handy gemobbt würden, wie es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Gemobbt werden sie heute, wenn sie nicht das neueste Modell aus der Tasche ziehen.

Der digitale Rund-um-die-Uhr-Begleiter stellt unsere Höflichkeitsregeln und Tischmanieren auf den Kopf: Kaum jemand protestiert heute noch, wenn das Gegenüber plötzlich mitten im Gespräch auf den kleinen Bildschirm starrt oder beim Essen lieber neu eingetroffene E-Mails liest, statt dem Tischnachbarn seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Ist es da Anpassung, eine Trotz-Reaktion oder fatalistische „Dann-mache-ich-das-eben-auch-Haltung“, die den stirnrunzelnden Gesprächspartner ebenso zum Handy greifen lässt?

Darauf angesprochen, weshalb sich Jugendliche bisweilen gar nicht mehr ansehen, sondern während der Unterhaltung lieber zusammen auf einen Mini-Bildschirm schauen, reagieren junge Leute verwundert. Doch davon können sich auch Erwachsene nicht mehr freisprechen. Wenn der Gesprächsstoff ausgeht oder man das Smartphone eh in der Hand hält (warum eigentlich? Weil die Unterhaltung langweilt?), sucht man eben rasch nach einem lustigen Video, davon gibt es schließlich immer genug.

„Gespräche“ verkommen so zu einem „Abwechselnd-auf-zwei-Smartphones-schauen“ und der gegenseitigen Versicherung, wie lustig oder süß die Beiträge doch seien. Einige mögen einwenden, dass dies beim Fernsehen auch schon so war – aber damals setzte man sich mit der Intention aufs Sofa, gemeinsam etwas anzuschauen. Bei Arbeitskollegen mag es verständlich sein, wenn sie sich nicht viel zu sagen haben, aber Freunde sitzen wohl kaum gezwungenermaßen zusammen.

Smartphones haben längst viel mehr Macht über uns als wir ahnen. Abgesehen davon, dass wir mit jeder Suchanfrage Google dabei helfen, noch mehr Daten über uns zu sammeln und unsere persönlichen Profile zu schärfen, hat das Handy die Rolle als Informationsquelle Nummer eins übernommen. Es ist eben praktisch, unterwegs nachschauen zu können, ob der Zug Verspätung hat oder wie das Wetter wird. Wir Menschen vertrauen Handys mittlerweile mehr als unseren Mitmenschen.

Wer immer alles gleich nachschlagen muss, wäre im analogen Zeitalter belächelt worden. In Zeiten allerdings, wo jeder stets uneingeschränkten Zugriff auf (vermeintlich) alle Informationen hat, bedeutet der Griff zum Smartphone nicht nur, dass man ein Status-Symbol präsentiert, sondern vor allem, dass man der mündlichen Information nicht mehr traut. Das zeigt sich, wenn Menschen etwas Gesagtes mit dem Satz „im Internet steht aber“ quittieren und mit wichtiger Miene ihr Handy hervorholen. Eine Geste, die dem Gegenüber zeigen soll: „Sieh' her, ich lasse mich nicht für dumm verkaufen.“

Natürlich soll man nicht alles glauben, was einem vorgesetzt wird. Aber wenn es um eindeutige Fakten oder Erlebtes geht, täte uns ein wenig mehr Vertrauen in das menschliche Gedächtnis gut. Durch das ständige Kontrollieren und Überprüfen drängen wir uns selbst in eine Oberlehrer-Rolle. Wer ständig andere verbessert, macht sich unbeliebt. Und er schwächt das Selbstvertrauen aller Beteiligten in das eigene Wissen. Die Hemmschwelle, die eigene Meinung zu äußern, steigt, wenn man erwarten muss, dass man sich angesichts der anwesenden Smartphones permanent in einer Überprüfungssituation befindet.

Vertrauen ist gut, Kontrolle im sozialen Leben nicht unbedingt besser. Missverständnisse gehören zum Leben dazu. Auch im privaten Umfeld waltet das Handy längst als Kontrollinstanz: Jemand kommt zu einer Verabredung zu spät, weil er sich eine falsche Uhrzeit gemerkt hatte. Ist es in dieser Situation normal, nach dem Smartphone zu greifen und ohne ein Wort im Beisein des Freundes den Chat-Verlauf zu überprüfen? Besser kann man sein Misstrauen nicht zum Ausdruck bringen.

Bleibt die Frage: Warum geben wir einem Gerät so viel Macht über uns und unsere Beziehungen? Warum müssen wir stets recht behalten, wo doch alles Wissen jederzeit frei verfügbar und seine Aneignung somit keine Leistung ist? Und warum erheben wir das Handy zur obersten Kontrollinstanz? Und: Wem wollen wir unsere lustigen Videos demnächst zeigen, wenn wir alle vergrault haben?

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