Künstliche Intelligenz Wie schlaue Maschinen die Welt verändern

Bonn · Künftig sollen Maschinen Autos lenken, Kranke pflegen und sogar den Tod vorhersagen. Kritiker warnen: Solche Systeme können diskriminieren, Kriege führen und sich zu einer Gefahr für die Menschheit entwickeln.

Am Anfang schuf der Mensch eine denkende Maschine. Aus Nullen und Einsen formte er Wesen nach seinem Ebenbild. Klingt so der Schöpfungsmythos einer fernen Zukunft, in der Roboterwesen die Welt bevölkern? Die Vorstellung, dass Maschinen eines Tages das Erbe der Menschheit antreten, ihm ebenbürtig oder gar überlegen sind, beflügelt seit jeher das Genre der Science Fiction. Es ist der Stoff, aus dem sie ihre Erzählungen webt. Doch Realität und Fiktion liegen bislang weit auseinander. Noch geht es bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) vor allem um hochspezialisierte Algorithmen – Computerprogramme, die auf eine fest vorgegebene Aufgabe hin trainiert werden und profane Tätigkeiten übernehmen sollen – Formulare ausfüllen oder Kunden am Telefon beraten.

Seit acht Jahren machen Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet rasante Fortschritte. Intelligente Software kann inzwischen Gesichter und andere Inhalte auf Fotos und in Videos erkennen, Sprache verstehen und Abläufe in der Logistik effizienter machen. Die Umwälzung hat längst begonnen, in Form von Sprachassistenten auf Smartphones und in Lautsprechern, in den Programmzeilen von Suchmaschinen, in Übersetzungssoftware und Navigationsgeräten. Für das Auge bleibt das meist unsichtbar. Die Akzeptanz für solche Systeme nimmt jedoch zu.

Jeder Achte in Deutschland nutzt inzwischen smarte Lautsprecher wie Amazon Echo oder Google Home. 73 Prozent der Verbraucher haben bereits Chatbots, Stimmerkennung oder personalisierte Empfehlungen genutzt. In naher Zukunft soll KI noch weit mehr leisten können. Maschinen sollen dann Autos lenken, Alte und Kranke pflegen, Büroarbeiten erledigen und sogar Verbrechen, Kriege oder den Tod vorhersagen. All das liegt in greifbarer Nähe, wenn man KI-Entwicklern glaubt. Manche von ihnen setzen große Hoffnungen in die neue Technologie. „Wenn Sie alle Informationen der Welt direkt an ihr Gehirn, oder an ein künstliches Gehirn, das intelligenter als Ihr eigenes ist, angeschlossen hätten, so wären Sie besser dran““, sagte Google-Mitgründer Sergey Brin 2004. Intelligente Systeme sollen zudem Lösungen für Menschheitsprobleme finden und so den Klimawandel stoppen oder die Welternährung sichern, indem sie Landwirtschaft effizienter machen.

Eine neue Industrie befeuert durch Daten

Dabei trat die Entwicklung intelligenter Systeme lange auf der Stelle und kam nur sehr langsam voran. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts leisteten Logiker und Mathematiker Vorarbeit und bereiteten den Boden für eine künftige Entwicklung der KI. Alan Turing ersann 1950 den nach ihm benannten Turing-Test, der feststellen soll, ob das Denkvermögen einer Maschine dem des Menschen ebenbürtig ist. Isaac Asimov formulierte 1942 die sogenannten Robotergesetze. Wichtigste Regel: Ein Roboter darf Menschen nicht verletzen oder zulassen, dass einem Menschen Schaden zugefügt wird. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren entwarfen Forscher Methoden, die Jahrzehnte später in Navigationsgeräten zum Einsatz kamen. Einen Quantensprung erfuhr die KI-Forschung aber mit dem Aufkommen von Big Data. Eine neue Industrie wächst seitdem heran, angetrieben durch das massenhafte Erheben und Auswerten von Informationen.

Wo im 19. Jahrhundert fossile Rohstoffe wie Kohle und Öl die Industrielle Revolution befeuerten, besteht der Treibstoff der digitalen Zeitenwende aus Daten. Mit ihnen füttern die Urheber Künstlicher Intelligenz ihre Programme, trainieren sie für Aufgaben und bringen ihnen bei, selbstständig zu lernen. Aufgaben wie Sprach- und Gesichtserkennung meistert der Mensch intuitiv, für Computer waren sie bisher nicht zu lösen. Das ändert sich gerade durch das so genannte Deep Learning, bei dem Programme im Ansatz das menschliche Gehirn imitieren. Vorgänge werden immer wieder zwischen mehreren Einheiten, Software-Neuronen genannt, hin- und hergespielt. Erfolgreiche Verbindungen werden gestärkt, erfolglose gekappt. Unter Einsatz von Hochleistungscomputern kann eine KI dann zum Beispiel aus vielen Millionen Bildern von Katzen und Hunden zwischen beiden Tierarten zu unterscheiden lernen.

Wettbewerb um die besten Köpfe in der Branche

Die Region Bonn/Aachen spielt für diesen Fortschritt eine wichtige Rolle. Sie gilt als eines der Zentren der KI-Forschung in Deutschland. In Bonn sorgten bereits in den 1970er Jahren Forscher um den 1996 verstorbenen Computerwissenschaftler Gerd Veenker für Pionierarbeit. Doch der Wettbewerb ist inzwischen groß um die allerbesten Köpfe in der Branche, von denen es nach Schätzung des Kölner KI-Forschers Sven Körner weltweit nur 10.000 gibt – bei einem Bedarf von etwa einer Million. Laut New York Times sind rund 22.000 Menschen qualifiziert genug, um ernsthafte KI-Forschung betreiben zu können. Einer von ihnen ist Christian Bauckhage, Professor an der Universität Bonn und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet des maschinellen Lernens am KI-Institut der Fraunhofer Gesellschaft in Sankt Augustin (siehe Interview). Die Gehälter, die im Ausland von Konzernen wie Google und Facebook für KI-Experten gezahlt werden, seien astronomisch. „In Deutschland ist es schwierig, Talente auf dem Niveau zu bezahlen, das sich die Giganten im Silicon Valley leisten können“, sagt er. Für junge Menschen sei die Versuchung deshalb groß, auszuwandern.

Auch Jörg Bienert, Präsident des KI-Bundesverbands, treibt diese Sorge um. Sein Interessenverein vertritt mehr als 50 Unternehmen und Start-ups in Deutschland. „Ich sehe das Risiko, von der Entwicklung überrollt zu werden“, sagt er. In Deutschland gebe es eine gute Basis für Grundlagenforschung, doch die Ideen müssten auch auf die Straße gebracht werden. „Mobilität wird sich durch KI grundlegend ändern. Wenn wir in Deutschland hier den Anschluss verlieren, werden andere Länder an uns vorbeiziehen.“ Deshalb begrüßt Bienert die jüngst beschlossenen Eckpunkte der Bundesregierung, die Deutschland zu einem attraktiven Standort für KI machen sollen. Für Deutschland biete KI eine Riesenchance, in seinen Schlüsselindustrien neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. „Wir sollten uns auf unsere Kernkompetenzen wie Robotik und Manufacturing konzentrieren“, sagt er.

Künstliche Intelligenz muss für den Menschen nützlich sein

Die Verheißungen sind also groß, aber das Thema polarisiert bereits heute die Gesellschaft. Kritiker mahnen zur Vorsicht und prominente Stimmen zeichnen Horrorszenarien, ausgelöst durch die neue Technologie. Der im März verstorbene Physiker Stephen Hawking warnte wiederholt davor, dass Roboter die Menschen eines Tages ersetzen könnten, wenn sich KI selbst optimiere und repliziere. Primitive Formen von KI seien nützlich, doch die Fähigkeiten fortgeschrittener Systeme bezeichnete er als eine Bedrohung für die Menschheit. „Es wird eine Lebensform sein, die die Leistung der Menschen übertrifft”, sagte Hawking. Zusammen mit zahlreichen Wissenschaftlern und Konzernchefs wie Tesla-Gründer Elon Musk unterzeichnete er 2017 ein Papier mit 23 Leitlinien für die Forschung an Künstlicher Intelligenz. Darin fordern die Unterzeichner unter anderem, KI müsse den Menschen nützen, dürfe nicht zum Selbstzweck entwickelt werden und müsse vereinbar sein mit der Würde des Menschen, seinen Grundrechten und Werten.

Die IT-Unternehmerin und Autorin Yvonne Hofstetter sieht Gefahren durch KI aber bereits im Hier und Jetzt. 2016 hat sie ein viel beachtetes Buch herausgebracht. Der Titel des Buches: „Das Ende der Demokratie – Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und entmündigt”. 2018 wurde sie für ihre Arbeit zur Digitalisierung mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet.

Hofstetter warnt davor, Menschen durch KI klassifizieren und kategorisieren zu lassen: „Die Einteilung von Menschen – etwa in gut und schlecht oder in finanzstark und arm – ist barbarisch. Das Diskriminierungspotenzial ist enorm.“ Zum Einsatz komme dies bereits in der US-Stadt Chicago, deren Polizei Systeme einsetze, um Straftaten vorweggreifend vorherzusagen und Verdächtige mit einer Warnung von möglichen Straftaten abzuhalten. Das amerikanische Recherchebüro ProPublica hatte bereits 2016 aufgezeigt, dass schwarze Minderheiten dadurch systematisch benachteiligt werden. „Der Einsatz von KI verschärft dies und das spiegelt sich bereits in Einschränkungen der Souveränität Verdächtiger wieder“, sagt Hofstetter.

Informationsblasen zersplittern die Gesellschaft

Auch die Beurteilung von Bewerbern auf einen Job oder die Kreditwürdigkeit – all das könnte in Zukunft stärker Aufgabe von KI werden. China schlägt etwa den Weg in die IT-Diktatur ein und nutzt solche Programme für ein Sozialkredit-System, um das Verhalten seiner Bürger zu belohnen oder zu sanktionieren, indem es private und staatliche Datenbanken verknüpft. Wer über Rot fährt, sammelt Minuspunkte, wer soziale Arbeit leistet, steigt im Ranking. Das wirkt sich etwa auf Beförderungen aus. „Hier kommt KI in Konflikt mit den Grundrechten, der finanziellen, sexuellen, sozialen Souveränität des Menschen“, warnt Hofstetter.

Auch in den Sozialen Medien werfen Algorithmen bisweilen ihre Schatten. Sozialwissenschaftler beobachten seit geraumer Zeit, dass sich Menschen polarisieren, weil sie eigens für die eigenen Interessen vorgefilterte Inhalte erhalten. Das erzeugt sogenannte Informationsblasen. „Dadurch zersplittert die Gesellschaft in Einzelmeinungen“, sagt Hofstetter.

Künstliche Intelligenz weckt also Hoffnungen und Ängste. Während Kritiker vor Gefahren warnen, preisen ihre Pioniere die Vorzüge. Einig sind sich beide Seiten darin, dass sie die Welt in hohem Tempo verändern wird. Wie schnell dieser Wandel kommt, lässt sich nicht vorhersagen. Der amerikanische Forscher und Futurist Roy Amara hat eine Faustregel für Erwartungen an den Fortschritt aufgestellt: „Wir neigen dazu, die Wirkung einer Technologie kurzfristig zu überschätzen und auf lange Sicht zu unterschätzen.“

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