Interview mit Timo Scheider "Es wird mehr Duelle geben"
BONN · Der Mann will es wissen. Für die Saison im Deutschen Tourenwagen Masters (DTM) hat sich der zweimalige Champion Timo Scheider ein besonderes Cockpit ausgesucht. Er fährt an der Seite von Titelverteidiger Mike Rockenfeller. Mit dem Audi-Piloten sprach Gerhard Mertens bei Testfahrten am Hockenheimring.
Herr Scheider, als zweimaliger DTM-Champion und nach wievor ambitionierter Fahrer sind Sie in der kommenden Saison zusammen mit MeisterMike Rockenfeller in einem Team. Wie kam das?
Timo Scheider: Nach den Jahren bei Abt war es für mich ander Zeit, eine neue Herausforderung zu suchen. Ich habe mich im Winter mit denbetroffenen Personen viel unterhalten, auch mit Mike. Mir war bewusst, dass dasam Ende harmonieren muss. Wenn man Erfolg haben will, muss die Synergie da seinund der Wille zusammenzuarbeiten.
Und Sie sind auf offene Ohren gestoßen?
Scheider: Ich habe vom Phoenix-Team und Teamchef ErnstMoser gleich positive Zeichen erhalten, und auch von Mike. Ich komme mit ihmschon leit längerem sehr gut klar - auf und neben der Rennstrecke. Alle kamenletztlich zu dem Schluss, dass es eine besondere Motivation sein kann, durchdie Rotation frischen Wind ins Team zu bringen. Bis jetzt fühle ich michsauwohl.
Wird der Druck auf Sie durch den Wechsel nicht auchgrößer?
Scheider: Es ist immer besser, wenn der Teamkollege starkist, denn dann bringt man seine beste Leistung. Mein Ziel muss es sein, wiederaufs Podium zu kommen und so konstant wie möglich zu punkten.
Haben Sie schon Anhaltspunkte, wo Sie stehen?
Scheider: Die Testfahrten haben dahingehend nicht vielAussagekraft. Jeder fährt hier mit angezogener Handbremse, hat Gewicht im Autooder fährt mit weniger Leistung. Daher ist der Vergleich zur Konkurrenzschwierig zu beurteilen. Man hat eine Jobliste, die arbeitet man ab und hofftdann, die richtigen Antworten gefunden zu haben, die auf der Strecke dieErfolge bringen. Zeiten sind da nebensächlich. Natürlich will man in denjeweiligen Sessions möglichst weit vorne sein. Auch das motiviert.
Gibt es bei Audi eine Stallorder?
Scheider: Man ist in erster Linie Einzelkämpfer. Aberwenn sich nach zwei Dritteln der Saison herauskristallisiert hat, dass jemandaus dem Team die Chance auf eine gute Meisterschaftsposition hat, ist dochklar, dass man hie und da mal ein Überholmanöver zulässt. Das ist legitim.Natürlich ist das Geschrei dann immer groß, und es wird vom Betrug am Sportgeredet. Aber das gibt es in vielen Sportarten, dass ein Teamkollege für denanderen fährt, zum Beispiel im Radsport.
Man kann sich auch schnell unbeliebt machen, wenn manegoistisch fährt, oder?
Scheider: Genau. Wenn der Chef etwas anweist, dann machtman das auch. Es ist auch im eigenen Interesse, weil man selbst auch dieUnterstützung bekommt, wenn man sie braucht.
Was haben Sie für ein Gefühl mit Blick auf die neueSaison?
Scheider: Wir haben von 2013 auf das aktuelle Autodeutliche Fortschritte gemacht. Aber das bedeutet auch, dass es wieder mehrFragezeichen gibt. Ein paar Dinge müssen wir noch besser verstehen. Da tutjeder Kilometer gut. Mike und ich ergänzen uns recht gut, mit unseren Aussagenund Empfindungen, von daher bin ich recht optimistisch.
Können Sie schon einschätzen, wie stark die Konkurrenzist?
Scheider: Klar, schielt man auf der Strecke schon mal aufdie anderen Autos. Da geht es weniger um die Rundenzeit, sondern mehr darum,wie das Auto aussieht und wie es sich in bestimmten Situationen auf der Streckeverhält. Es ist aber derzeit schwierig, genau zu sagen, wer wo steht. Ichschätze beide Konkurrenten stärker und breiter aufgestellt ein als vergangenesJahr. Wenn ich mir das Starterfeld anschaue, sehe ich auf Anhieb zehn Piloten,die gewinnen können.
Sie glauben also, dass es spannender wird?
Scheider: Ja. Auch die neuen Regeln werden ihren Teildazu beitragen, das Feld extrem dicht zusammenrücken zu lassen. Die Anzahl derPiloten, die um Punkte und um vordere Platzierungen fahren, wird größer seinund im Verlaufe der Saison größer werden, weil der ein oder andere durchweniger Gewicht nach vorne fährt. Es wird mehr Duelle, mehr Racing geben, daswollen die Fans sehen.
Apropos Gewicht: Empfinden Sie das nicht als Strafe fürgute Leistung?
Scheider: Sicher, wenn man sich Vorteile erarbeitet hatund dann dafür bestraft wird, ist das schmerzhaft. Ich persönlich nehme gerneein Strafgewicht in Kauf dieses Jahr. Denn das bedeutet ja auch: Hey, du hastErfolg gehabt, du bist gut gewesen.
Das Anfangsgewicht von fünf Kilogramm hört sich außerdemnicht viel an?
Scheider: Das ist streckenabhängig. Wenn man vielelangsame Kurven hat, in denen man das Gewicht mit herausbeschleunigen oderverzögern muss, bedeutet das zum Beispiel höheren Reifenverschleiß, anderesFahrverhalten und mehr Benzinverbrauch. In der Rundenzeit kann das zwischen einund zwei Zehntel ausmachen, das summiert sich. In diesem Jahr geht es bis zueiner maximalen Differenz von 20 kg, da reden wir auf manchen Strecken dannschon von sechs bis sieben Zehntel. Wenn du dann noch gewinnst, hast du einunglaublich gutes Auto und einen Riesenjob gemacht.
Was sagen Sie zu den weiteren Regeländerungen?
Scheider: Sie sollen beim Fan an der Strecke und beimFernsehzuschauer für mehr Klarheit sorgen. Mit den vielenStrategiemöglichkeiten, die wir in der Vergangenheit hatten, wurde eseigentlich vermieden, Rennen im direkten Zweikampf zu fahren. Da hat man immerversucht, vorne und hinten eine freie Strecke zu haben. Das half natürlich derPerformance, war aber fürs Rennerlebnis der Zuschauer tödlich. Viele Rennenwurden nicht auf der Strecke sondern am Kommandostand entschieden. Jetzt iststrategisch fast gar nichts mehr möglich. Während des Rennens werden dieGruppen, die für den Sieg oder die weiteren Platzierungen infrage kommen,überwiegend zusammenbleiben, unterbrochen durch den einen Boxenstopp für denReifenwechsel.
In der Formel 1 soll es unter den Fahrern keine Freundegeben. Wie ist das in der DTM?
Scheider: Für die Formel 1 kann ich das bestätigen. Ichkenne den ein oder anderen Fahrer. Da gibt es nur vereinzelt welche, diemiteinander gut können. Aber in der DTM gibt es eigentlich keinen, mit dem mangar nicht auskommt. Man ist nicht mit jedem Freund, aber man hat in der Regelein ordentliches Verhältnis zueinander. Da ist die DTM sicher etwas Besonders.Das fängt schon damit an, dass acht Fahrer für eine Marke und als Teamauftreten.
Es wird kritisiert, dass die Typen fehlen?
Scheider: Dieses Geschrei ist leider Gottes sehr laut, zuunrecht. Ich meine, wir haben eine ganze Menge cooler Typen hier. Mit ein wenigmehr PR und Fernsehzeit könnte man die auch noch besser präsentieren.
Sie sind der Pilot mit den meisten DTM-Rennen. Fühlen Siesich alt?
Scheider: Nein. Aber es stimmt, ich gehe bereits in meine14. Saison. Gerade hat Mike Rockenfeller sein Buch veröffentlicht. Und wenn ichmir das durchblättere, bekomme ich Gänsehaut. Mir wird noch einmal richtigbewusst, wie lange ich mich in der DTM gehalten und was ich alles erlebt habe.Darauf bin ich sehr stolz.
Also kein Gedanke ans Aufhören?
Scheider: So lange ich Spaß habe und noch Leistung zeigenkann, habe ich noch Lust auf mehr. Ich halte die DTM für die besteTourenwagenserie in Europa, wenn nicht sogar in der Welt. Und ich bin froh,dabei zu sein.
Die DTM macht inzwischen ja auch der Formel 1 Konkurrenz,jedenfalls was den Sound angeht.
Scheider: Der Sound ist bei uns tatsächlich besser. Wennich momentan am Fernseher die Staubsaugermotoren der Formel 1 höre, führt dasdazu, dass ich nicht in der zehnten Runde einschlafe, sondern schon in derfünften. Man sollte aber aufhören, Formel 1 und DTM zu vergleichen. Formel 1ist und bleibt die Königsklasse, wir sind das im Tourenwagenbereich in Europa.
Was ist sportlich reizvoller?
Scheider: Für mich ist das die DTM. Weil der Fan vielmehr bekommt und erleben kann. Nicht nur, weil die Eintrittspreise niedrigersind und man ein Familienprogramm oder Live-Konzerte geboten bekommt, sondernweil der Fan auch näher an die Autos und die Fahrer herankommt. Von Freitag bisSonntag wird ihm etwas geboten. Wenn das nicht attraktiver ist als die Formel1, habe ich irgendwas falsch verstanden.
War die Formel 1 für Sie als Fahrer mal ein Thema?
Scheider: Leider nicht so, wie ich mir das gewünschthätte. Ich war mit einem halben Fuß drin. Ich hatte im Benetton Junior Team inmeinem ersten Jahr in der Formel 3 die Vizemeisterschaft gewonnen. Es wareigentlich alles klar, dass ich für Benetton Testfahrer werde. Flavio Briatorewollte mich nach Italien holen, und später sollte ich ins Einsatzteam wechseln. Es gab dann Differenzen mit meinem damaligenManagement, von dem ich versucht habe, mich zu trennen. Das hat zunächst nichtgeklappt, so dass ich die Chance nicht wahrnehmen konnte.
Dann aber hat Sie Michael Schumachers Manager Willi Weberbetreut.
Scheider: Er hat mich aus dem Vertrag rausgeholt, und ichhatte gehofft, mit seiner Hilfe noch einmal eine Chance in der Formel 1 zubekommen. Aber es sollte nicht sein. Es war mal ein Test bei Jordan geplant,der nicht zustande kam. Und dann haben wir mit Niki Lauda zusammengesessen, derversprach, mir bei Jaguar eine Chance zu geben. Das war die größte Enttäuschungfür mich. Der Test hat sich immer wieder verzögert. Als Willi Weber und ichdann am Nürburgring noch einmal persönlich vorstellig geworden sind und WilliWeber Lauda fragte: 'Was machst Du mit meinem Jungen?' antwortete der: 'Wer istdas?' Da wurde mir schlagartig klar, wie hart das Business ist.
Dann kam der Schritt zu Opel in die DTM...
Scheider: Da wurde mir bewusst, dass ich mir dort ineinem professionellen Umfeld mit einem Hersteller im Rücken eine sichere Basisaufbauen kann.
Mit den Erfolgen haben Sie sich aber Zeit gelassen. Siehatten schon den Ruf als Podestverweigerer weg. Hat Sie das geärgert? Scheider: Es hat schon an mir geknabbert. Aber wenn ichauf die Jahre bei Opel zurückblicke, in denen ich nicht immer mit siegfähigemMaterial unterwegs war, hat mich das doch entscheidend geprägt. In dieser Zeithabe ich große Teamkollegen geschlagen, die in der Tourenwagen-Szene einenRiesennamen hatten, etwa Joachim Winkelhock, Manuel Reuter oder Laurent Aiello.Ich fuhr immerhin den bestplatzierten Opel, war jedoch in der Meisterschafthalt nur Achter oder Neunter. Aber das Kämpfen auf den hinteren Positionen hatmich fahrerisch weitergebracht und mich in der Meinung bestärkt, dass ich eskann und dass ich in der Lage sein sollte, um die Meisterschaft mitzufahren,wenn mal alles zusammenpasst.
Nach Ihrer GT-Pause haben Sie sich 2006 bei der Rückkehrin die DTM für Audi entschieden. Warum?
Scheider: Ich wollte unbedingt für Audi fahren, weil dieMarke vom Image und von der Außendarstellung her zu mir passt. Mein Glück war dann, dass Heinz-HaraldFrentzen später seine sieben Sachen packte und ich vom Vorjahresauto auf dasaktuelle Modell wechseln konnte. Ich habe meine Zeit gebraucht, aber 2007 habeich im letzten Rennen auf dem Podium gestanden - und dann kamen zwei Jahre, diegranatenmäßig waren. Das war der Befreiungsschlag für mich in der Szene.
Warum lief es nicht so erfolgreich weiter?
Scheider: Manchmal laufen die Dinge einfach in diefalsche Richtung. 2012 zum Beispiel haben wir nach etwa zwei Drittel der Saisonfestgestellt, dass wir ein technisches Manko am Auto hatten, das uns einRiesenbein gestellt hat. Und vergangene Saison war ich hinter Mike Rockenfellerim Schnitt gesehen der beste Qualifier. Der Speed war also da, aber am Ende binich durch Reifenschäden, technische Fehler, Boxenstoppfehler oderStrategiefehler immer wieder zurückgeworfen worden. Und wenn es mal schlechtläuft, verkrampft man auch.
Warum wohnen Sie in Österreich?
Scheider: Da wohne ich schon seit ich in die DTM gekommenbin. Ich wollte in der Nähe meines Fitnesstrainers sein, der in Vorarlbergwohnt. Es ist kein Geheimnis, dass es auch steuerlich von Vorteil ist. Ich magaber auch die Gegend super gerne. Ich bin ein Naturmensch und gerne draußen.
Tritt Ihr elfjähriger Sohn Loris in Ihre Fußstapfen?
Scheider: Die ersten Überschläge hatte er schon, als ernoch viel jünger war. Inzwischen war und ist er vielseitig unterwegs. Quad,Motocross, dann Kart, ganz aktuell ist im Winter Eishockey und im SommerDownhill-Mountainbiking erste Wahl. Ich habe probiert, ihm das auszureden, aberes scheint altersbedingt gerade cool zu sein. Natürlich fände ich es schön,wenn er in meine Fußstapfen träte. Es gab den Plan, dass er in meinem Kart-Teamfährt, doch Schule geht erst einmal vor.
Sie engagieren sich sozial, unter anderem für behinderteKinder. Was gibt Ihnen das?
Scheider: Eine ganze Menge. Erst einmal lernt man seinGlück schätzen, ein gesundes Kind zu haben. Aus unserem bunten Zirkusauszubrechen und in die Realität von Familien mit behinderten Kinderneinzutauchen, hat mich sehr beeindruckt. Zu sehen, wie sich diese Familien einsetzen und für ihre Kinder kämpfen,gibt mir auch brutal viel Energie zurück. Im Vergleich dazu ist alles, was wirhier in der DTM machen, Kinderkram.
Wer wird DTM-Champion?
Scheider: Timo Scheider.