Berlinale-Wettbewerb Abrechnung mit dem amerikanischen Traum

Berlin · Danis Tanovic setzt mit „Death in Sarajevo“ einen bärenwürdigen Akzent, und Rafi Pitt macht sich in „Soy Nero“ über Einwanderungsschicksale Gedanken. Die internationale Fallada-Neuverfilmung „Jeder stirbt für sich allein“ bleibt enttäuschend

 Bittere Erfahrungen: (von links) Johnny Ortiz, Veronica Ruthie Sigel und Michael Harney in Rafi Pitts „Soy Nero“. FOTO: BERLINALE

Bittere Erfahrungen: (von links) Johnny Ortiz, Veronica Ruthie Sigel und Michael Harney in Rafi Pitts „Soy Nero“. FOTO: BERLINALE

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Die Welt ist ein Hotel in Danis Tanovics „Death in Sarajevo“. Während ein französischer Gast in der Präsidentensuite seine Rede zum 100. Jahrestag jenes Attentats einübt, das 1914 den Ersten Weltkrieg in Gang brachte, hat der Hotelbesitzer ganz andere Sorgen. Das „Hotel Europa“, seit Jahrzehnten das beste Haus am Platz, ist pleite, die Banken zeigen sich unnachgiebig und die Angestellten drohen mit einem Streik. Derweil interviewt eine TV-Moderatorin auf dem Dach Historiker, Kulturwissenschaftler sowie einen Nachfahren des Attentäters und endet zwangsläufig beim jüngsten Krieg in ihrer Stadt, dessen Wunden noch längst nicht verheilt sind. Im Keller hat sich mit Spielhölle und Stripclub die mafiose Unterwelt häuslich eingerichtet und bietet Hilfe bei der Streikbekämpfung an.

Tanovic entwirft hier in einem schlüssigen Mikrokosmos ein bitterböses Gleichnis auf die Gesellschaft in seinem Land, das schon seit Jahrhunderten in einem Dickicht aus Feindbildern, Vorurteilen und eruptiver Gewalt gefangen ist und für das Europa auch heute nur eine Behauptung ist. Ein stringent erzählter, intellektuell unterfütterter Film, der sicherlich den Weg in den Vormerkkatalog der Berlinale-Jury gefunden hat.

Vom Krieg und den daraus resultierenden Gewissenskonflikten möchte auch die deutsch-britisch-französische Co-Produktion „Jeder stirbt für sich allein“ erzählen, die Hans Falladas bereits mehrfach verfilmten Roman aus dem Jahre 1946 nun ins internationale, englischsprachige Kinoformat bringt. Achim von Börries hat das Drehbuch geschrieben, der Schweizer Vincent Perez führte Regie und hat mit Emma Thompson, Brendan Gleeson und unser aller Daniel Brühl die Geschichte prominent besetzt.

Es ist die auf Tatsachen beruhende Geschichte des Arbeiter-Ehepaars Anna und Otto Quangel, die während des Dritten Reiches auf ganz individualistische Weise Widerstand leisten. Nachdem der Sohn in Frankreich gefallen ist, beginnen die beiden Postkarten in Berliner Gebäuden zu hinterlegen, die Hitlers kriegerische Untaten anprangern. Falladas letzter, in nur wenigen Wochen direkt nach dem Krieg verfasster Roman, der seit 2010 durch eine neue englische Übersetzung auch international eine Renaissance feierte, erzählt allerdings nicht nur die Geschichte der beiden Widerständler. Er schildert auch ungeheuer präzise die verhärmte, von Denunziation geprägte Atmosphäre im Berliner Arbeitermilieu der NS-Zeit. Genau dafür fehlt Regisseur Perez allerdings jegliches Gespür. Hier ist zwar viel deutsches Fördergeld in die historisch korrekte Ausstattung geflossen, aber das Gesellschaftspanorama, das Fallada in seinem Roman entwirft, wird auf eine Alltagshelden-Story heruntergekocht. Selbst Thompson und Gleeson können dieses fade Europudding-Produkt nicht retten. „Teppichfilme“ nennt man solche Werke, die nichts im Wettbewerb eines A-Festivals zu suchen haben und nur eingeladen werden, damit die Celebrity-Quote auf dem roten Teppich stimmt.

In diese Kategorie könnte auf den ersten Blick auch Michael Grandages „Genius“ fallen, dessen Weltpremiere mit Jude Law und Colin Firth zwei britische Hollywood-Schwergewichte nach Berlin lockte. Ein echter Schauspielerfilm, der sich als liebevolle Hommage an dem Verleger Max Perkins (Firth) versteht, welcher in den 20er Jahren Autoren wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald herausbrachte und nun das 1000-seitige Script eines gewissen Thomas Wolfe (Law) auf den Schreibtisch bekommt. Mit einer perfekten Balance aus beherztem Overacting und feinem Understatement erschaffen die beiden Hauptdarsteller eine Ode auf die Beziehung zwischen Autor und Verleger im gemeinsamen Ringen um die Kraft des Wortes.

Zum Berlinale-Mantra vom „Recht auf Glück“ und zur aktuellen politischen Diskussion um die Abdichtung europäischer Grenzen, passte Rafi Pitts „Soy Nero“. Der kapitalistische Schutzwall zwischen Mexiko und den USA ist längst Realität und hier Ausgangspunkt für die Geschichte eines jungen Mannes, der als Sohn illegaler Einwanderer in den USA aufgewachsen ist, abgeschoben wurde und nun erneut über den Grenzzaun klettert. Um die ersehnte Greencard zu bekommen, verpflichtet er sich zum Dienst in der US-Armee und landet an einem Kontrollpunkt im afghanischen Niemandsland. Eine bittere Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, der sich hier in einer etwas schleppenden Erzählweise und nicht wirklich überraschend als Trugschluss erweist.

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