Jazzfest im Post Tower Absolute Entschleunigung

Bonn · Ein wahres Festival der Stimmen beim Jazzfest Bonn in der Post Tower Lounge mit Julia Hülsmanns „Heaven Steps To Seven“ und dem „Baylor Project“.

Sie hat Soul im Blut: Jean Baylor begeistert  mit ihrem Gesang  im Post Tower.

Sie hat Soul im Blut: Jean Baylor begeistert mit ihrem Gesang im Post Tower.

Foto: www.heikefischer-fotografie.de

Am achten Abend des Jazzfests Bonn wird das Festival zu einem Schaulaufen toller Stimmen. Bei Dauerregen rund um den Post Tower ist das Balsam für die Seelen. Die Pianistin Julia Hülsmann, die wir bereits etliche Male und mit unterschiedlichen, sehr spannenden Projekten beim Jazzfest erlebt haben, stellte am Donnerstagabend drei sehr unterschiedliche Stimmen – junge und arrivierte – in der Post Tower Lounge zur Diskussion. Für Hülsmann ist das Ganze ohnehin ein Heimspiel. Einen Steinwurf entfernt wurde sie vor 54 Jahren im Johanniter-Krankenhaus geboren.

Nun geht sie mit dem Projekt „Heaven Steps To Seven“ an den Start, ein hübsches Wortspiel mit Miles Davis‘ Album „Seven Steps To Heaven“ von 1963. Drei Kandidatinnen – sicherlich nicht für den Jazz-Olymp, aber unbedingt bundesligareif – treffen auf Hülsmanns Quartett mit Bass, Schlagzeug und Cello. Letzteres ziemlich gewöhnungsbedürftig. Im zweiten Konzert des Abends wurde die Treppe in den Himmel etwas steiler. Jean Baylor erklomm sie souverän und verriet Potenzial für mehr – das „Jersey-Girl“, wie Schlagzeuger Marcus Baylor sein „wonderful wife“ nennt, ist immerhin 2023 für einen Grammy nominiert worden.

Himmlische Stimmen

Die Bonnerin Julia Hülsmann ist ein gern gesehener Gast beim Jazzfest. Dieses Mal mit „Heaven Steps To Seven“.

Die Bonnerin Julia Hülsmann ist ein gern gesehener Gast beim Jazzfest. Dieses Mal mit „Heaven Steps To Seven“.

Foto: www.heikefischer-fotografie.de

Die junge Angolanerin Aline Frazão setzt als erste von Hülsmanns-Himmelssängerinnen ganz zu Beginn zauberhafte Akzente, betört mit einer souligen Mittellage und einem sehr wendigen und geschmeidigen Gesang, dem die Latino-Nummer unbedingt entgegenkommt. Mia Knop Jacobsens etwas höher und schlanker angelegte Stimme erweist sich als sehr breit einsetzbar von Pop bis Jazz. Sie startet mit Hülsmanns schöner Komposition „You Come Back“ nach Margaret Atwood. Die Jazzfest-erfahrene Lisa Bassenge schließlich begeistert mit reifem, warmem, vollen Klang. Nummern wie „Woodstock“ von Joni Mitchel werden sehr intensiv durchgearbeitet und innig interpretiert. Hülsmann streut intensive Soli ein, die den Wunsch nähren, diese tolle Musikerin einmal wieder ausführlicher zu hören. Bassist Marc Muellbauer assistiert virtuos. Die vielseitige, fulminante Schlagzeugerin Eva Klesse hat einen großartigen Abend, Stephan Braun am Cello nicht durchgängig (manches geriet doch arg schräg). Aber als Gitarrist auf dem Cello ist er unschlagbar. Großen Applaus für Hülsmanns quirliges Himmelsprojekt.

Der Gatte filmt mit

Dem das Baylor-Project das Prinzip absolute Entschleunigung entgegensetzte. Jean Baylor kostet jeden Ton mit ihrer souligen, warmen Stimme aus, skatet mit hauchendem Sopran, füllt den Saal mit ihrem in den Tiefen rauen Stimmvolumen. Wunderbar. Besonders eindrucksvoll, wenn sie mit dem ausgezeichneten Terry Brewer am Piano in einen Dialog tritt oder mit dem satten Ton von Keith Loftis Tenorsaxofon wetteifert. Auch Loftis ist ein Meister des intensiven Spiels und der Entschleunigung, lässt aber bisweilen durchblitzen, dass er auch anders kann. Aber in der Post Tower Lounge ist Schmusejazz in Vollendung angesagt und alles zugeschnitten auf Jean Baylors hinreißenden Gesang. Da blieb für den Gatten Marcus, der früher einmal Drummer der Fusionband Yellowjackets war, Zeit genug, seinen Arbeitsplatz zu verlassen, um mit dem Smartphone ausgiebig seine Frau, die Kollegen und das schwelgende, hingerissene und am Ende wild applaudierende Publikum zu filmen und Selfies zu machen. Der Instagram-Account will gefüttert werden. Am Schlagzeug gab er dann alles.

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