Böll-Ausstellung im Museum Ludwig Auch Bilder brauchen eine Moral

Im Zentrum der Kölner Ausstellung steht sein 1964 veröffentlichter Text „Die humane Kamera“, der hellsichtig vor dem Missbrauch der Bilder für Überwachungszwecke oder Paparazzi-Voyeurismus warnt.

 Stimmungsvolles Porträt: Chargesheimers Bild von Heinrich Böll (um 1959).

Stimmungsvolles Porträt: Chargesheimers Bild von Heinrich Böll (um 1959).

Foto: Museum Ludwig

Mit Trenchcoat und gerade entzündeter Zigarette, noch dazu im unheimlichen Halbdunkel, gleicht er auf Chargesheimers Foto fast Orson Welles in „Der dritte Mann“. Ja, auch der ungekünstelte Heinrich Böll wurde stilisiert und inszeniert. Man sieht ihn als starren Schattenriss vergeistigt vor seinem Schreibtisch, als erregten Zeitungsleser vor einer Aufnahme von Rosa Luxemburg oder mit Hut und Sonnenbrille fast im Geheimagenten-Look.

Solche Bilder erlaubte er eigentlich nur dem befreundeten Heinz Held, der den Kölner Schriftsteller (1917 - 1985) sogar mit Sohn Raimund und Schwiegertochter beim Boule-Spiel ablichtete. Aus drei Archivkartons von Held konnte Miriam Halwani als Fotografie-Kuratorin des Museums Ludwig die schönsten Beispiele herauspicken, doch diese Porträts sind nur eine Facette der vielschichtigen Schau „Die humane Kamera – Heinrich Böll und die Fotografie“.

Zu dieser Kunst stand er in einem heiklen Spannungsverhältnis. Einerseits war er durchaus überzeugt: „Ein gutes Auge gehört zum Handwerkszeug des Schriftstellers.“ Für drei Chargesheimer-Bände schrieb er nicht nur Texte, sondern war als stiller Beobachter auch bei den Motivrecherchen dabei. Die atmosphärischen Köln-Impression aus „Unter Krahnenbäumen“ sind ebenso mit markanten Beispielen vertreten wie Motive aus dem Buch „Das Ruhrgebiet“: der verrußte Kumpel bei angespannter Plackerei unter Tage, die ärmlichen Arbeitersiedlungen. Das Revier roch für Böll nicht nur nach Kohlenstaub, „sondern vor allem nach Menschen, nach Jugend, Barbarei und Unverdorbenheit“.

"Die humane Kamera" ist Zentrum der Ausstellung

Der schonungslos düstere Band aber stieß damals nicht nur beim Essener Oberbürgermeister auf erbitterten Protest. Und auch in „Menschen am Rhein“ wollten der Autor und der Fotograf kein Klischee-Idyll bedienen. Die „sommerliche Heiterkeit“ hat Böll dem Strom nie recht geglaubt: „Mein Rhein ist dunkel und schwermütig“, schreibt er, und Chargesheimers Angler im nebligen Grau spiegelt dies eindrucksvoll. Gegen Prachtbildbände hatte Böll Vorbehalte, weil sie ihn an eine eitle Parade von Einser-Schülern erinnerten.

Und im Zentrum der Kölner Ausstellung steht sein 1964 veröffentlichter Text „Die humane Kamera“, der hellsichtig vor dem Missbrauch der Bilder für Überwachungszwecke oder Paparazzi-Voyeurismus warnt. „Wo die Kamera zudringlich wird, ihr Instrument, das Objektiv, zum Instrument des Subjekts, des Photographen wird, der darauf aus ist, den Menschen zu ertappen, zu denunzieren, zu entlarven, überschreitet die Photographie ihre ästhetische und gleichzeitig moralische Grenze.“

Diese Verletzung des Individuums führte er in seinem Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ beispielhaft vor, was hier mit Szenenbildern des gleichnamigen Schlöndorff-Films sinnfällig wird. So meditiert diese Schau durchaus über moralische Grenzen des Mediums. Heinrichs Sohn René Böll erinnerte sich als Gast des Pressegesprächs auch an erlebte Zudringlichkeiten der Fotografen, „besonders auf der Beerdigung des Vaters“.

Der Sohn ist hier zugleich Leihgeber, denn er stellt einige seiner Bonner und Bad Godesberger Aufnahmen vor, die er nach Heinrichs Plänen als Anschauungsmaterial für dessen letzten Roman „Frauen vor Flusslandschaft“ machte. Der Vater nämlich, so René Böll, „hat nicht sehr gut fotografiert“. Das Museum Ludwig zeigt diese Schau zum 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers auch wegen seiner Lage am Heinrich-Böll-Platz. Und das peinliche Parteiengerangel um dessen Umbenennung kann man sich in einem kurzen Film anschauen.

Ab 1. September bis 7. Januar, Di-So 10-18, jeden 1. Do bis 22 Uhr. Band 1 der neuen Schriftenreihe zur Fotosammlung des Hauses: „Die humane Kamera“, acht Euro.

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