"Gott des Gemetzels" im Depot 1 Auf ganz dünnem Eis

Köln · In Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ im Depot 1 des Kölner Schauspiels treffen zwei Paare aus dem gutbürgerlichen Milieu furios aufeinander. Die Kölner Inszenierung kommt schlagkräftig daher – das Publikum kann sich auf eine Krawallshow einstellen.

Mal ein ruhiger Moment: (von links) Jörg Ratjen, Lola Klamroth, Sabine Waible und Alexander Angeletta.

Mal ein ruhiger Moment: (von links) Jörg Ratjen, Lola Klamroth, Sabine Waible und Alexander Angeletta.

Foto: Krafft Angerer

In Köln tobt der Gott des Gemetzels. Beim Zusammentreffen zweier Paare aus dem gutbürgerlichen französischen Milieu fegt dieser Gott alle Errungenschaften zivilisierter Umgangsformen, guter Erziehung und erlernter Selbstbeherrschung hinweg. Das sieht man immer wieder gern, denn den Furor, der die Bühne im Depot 1 des Kölner Schauspiels in ein Beziehungs-Schlachtfeld verwandelt, hat die französische Autorin Yasmina Reza erschaffen. Das 2006 erstmals aufgeführte Erfolgsstück „Der Gott des Gemetzels“ der 1959 in Paris geborenen Autorin ist das Werk einer geistreichen Unterhalterin und eine gnadenlose Bestandsaufnahme menschlicher Schwächen.

Véronique (Lola Klamroth) und Michel (Alexander Angeletta), Annette (Sabine Waibel) und Alain (Jörg Ratjen) treffen sich, um über ihre jeweils elfjährigen Söhne zu reden; die haben sich geprügelt. Bruno, dem Sohn der Gastgeber, wurden dabei zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Mit Streuselkuchen (mit Äpfeln und Birnen) und zivilisierter Konversation will man den Konflikt bereinigen. Doch was so bürgerlich-vernünftig beginnt, eskaliert. Sie gehen aufeinander los, werden hand- und wortgreiflich. Der Zuschauer findet keine Identifikationsfigur, denn ständig wechseln die Koalitionen. Es ist ein Krieg jeder gegen jeden. Kultur und Bildung sind wie dünnes Eis. Ein falscher Schritt – in diesem Fall: ein falsches Wort –, und schon bricht man ein. Der junge Regisseur Tristan Linder beweist ein gutes Gespür für alle Facetten des Stückes. Er hat alles im Blick: die Komik, die Abgründe, Menschen in all ihrer schockierenden, aber irgendwie auch verständlichen Erbärmlichkeit.

Kuchen und Konflikte

Sebastian Bolz (Bühne) verlegt die Handlung nach draußen, in den großen Garten. Vier Sessel stehen nebeneinander, als würde sich hier ein Talkshow-Quartett treffen. Bereits in dem Augenblick, in dem Véronique das Tablett mit Kaffee und Kuchen fallen lässt, wird klar: Das Publikum kann sich auf eine Krawallshow einstellen. Die Regie lässt immer wieder Objekte sprechen. Die Konflikte werden zum Beispiel mit dem Kuchen ausgetragen, den die Gastgeber ihren Besuchern aufdrängen, als wollten sie Gänse für die Foie-gras-Produktion quälen. Die Protagonisten begegnen sich abwechselnd mit aktiver und passiver Aggression. Annette kotzt sich, im übertragenen und im wörtlichen Sinn, Stil und Etikette aus dem Leib.

Die Inszenierung kommt visuell schlagkräftig, manchmal surreal und so bunt daher, wie die Darsteller von Lucie Hedderich eingekleidet wurden. Dabei müssten sie, psychologisch betrachtet, Dunkelgrau tragen. Linder hat Spaß daran, bürgerliche Fassaden zu zertrümmern, die Differenz zwischen Schein und Sein auszumessen. Seinen Figuren setzt auch der Wettergott zu. Mal schickt er eine Hitzewelle, mal Schnee und Kälte und zuletzt einen Regenguss. Doch Linder arrangiert auch Szenen, in denen Beziehungsrisse zum Vorschein kommen. Immer wenn Ratjen als Alain, ein Anwalt kurz vor der Lebensstation Zynismus, mit dem Handy Geschäftliches erledigt, legt er den Arm um Annette. Eine hohle Geste, denn mit jedem Telefonat entfernt er sich weiter von seiner Frau. Auch Waibel verkörpert einen Kontrast. Hinter ihrer auf Berufserfolg basierenden Contenance lauert die Hysterie.

Lola Klamroth als Véronique gießt ihre Selbstgewissheit in Moral- und Vernunftpredigen, während Alexander Angeletta als unterwürfiger Ehemann erst mit einigen Gläsern Rum intus offenbart, dass ihn das Familienleben überfordert. Es fällt leicht, über diese Menschen zu lachen, die eine große innere Traurigkeit verbindet und die am Ende gleichsam nackt und jeder für sich allein vor dem Publikum stehen. Das erlaubt, ja provoziert die effektreiche, gleichzeitig lustige, böse und groteske Inszenierung. Aber sie gibt Véronique, Michel, Annette und Alain nicht der Lächerlichkeit preis. Leute wie sie könnten im Parkett sitzen. Wer weiß, vielleicht erkennt sich der eine oder andere Zuschauer in diesen Repräsentanten gut situierter Bourgeoisie wieder.

Die nächsten Vorstellungen im Depot 1, Schanzenstraße: 10. Februar, 2., 5., 11., 28. und 29. März. Karten bei Bonnticket

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