Ausstellung in der Galerie Clement Aus der Zeit gefallen

Genderfragen und Klimasorgen: Sabrina Jungs irritierende Frauenporträts und Landschaften in der Bonner Galerie Clement

 Suche nach der Identität: Sabrina Jungs Porträt „Lulu“ aus der Werkserie „Queers“ in der Galerie Gisela Clement.

Suche nach der Identität: Sabrina Jungs Porträt „Lulu“ aus der Werkserie „Queers“ in der Galerie Gisela Clement.

Foto: Sabrina Jung

Die Irritationen, die diese Porträts auslösen, sind klein, mitunter kaum spürbar. Aber nachhaltig. Denn diese abfotografierten Frauen fesseln den Blick gerade durch ihr Unvollkommen-Sein. Sie mögen wunderschön oder auch stattlich und mondän sein, aber irgendetwas stimmt hier nicht. Die Fotokünstlerin Sabrina Jung spielt mit der Irritation, zwingt den Betrachter förmlich, genau nachzuschauen, sich auf das Spiel der 1978 geborenen Neusserin einzulassen.

Ihre zart kolorierten Frauenbilder sind Fundstücke aus alten Alben oder Nachlässen, was schon die Posen der Porträtierten nahelegen. So würde sich heute niemand mehr ins Fotostudio setzen. Auch die Frisuren stammen aus einer anderen Zeit. Doch etwas stimmt mit den Gesichtern, den Blicken nicht. Manche Frau wirkt durch ausgeprägte Brauen und leichten Bartschatten sehr männlich, bestenfalls androgyn. Jung hat in diesen Fällen ein Frauen- und ein Männerporträt übereinandergeblendet, die Kleidung jedoch dezidiert weiblich, bisweilen sehr bunt belassen, was für einen weiteren Kontrast sorgt. 

Collagierte Porträts

Ihre durch allerlei Eingriffe veränderten, collagierten und kolorierten Porträts von Stefanie und Theodora, Johanna, Ulla, Lora, Lulu und Cleo hängen zurzeit in der Bonner Galerie Gisela Clement, die Jung und ihr Werk ganz neu in ihr Programm aufgenommen hat. Die Fotokünstlerin zeigt im Galeriehaus vorzüglich gehängt einen Querschnitt ihres Werks mit Schwerpunkt auf ganz aktuellen Arbeiten. In Schlaglichtern erfährt man auch, wie sie früher unterwegs war.

Aus diesem Jahr stammen die Porträts der Serie „Queers“ mit ihren auffällig bunten Kleidern. Bereits 2020 begann sie mit den „FeMales“, auch diese haben männliche und weibliche Komponenten. Die „Schönen Frauen“ von 2011 irritieren auf andere Weise: Hier wird ein junges Gesicht in ein historisches Porträtfoto montiert. Geht es hier um Rollenbilder und -klischees, um Genderfragen sowie das Phänomen der Camouflage, der Tarnung der Persönlichkeit durch Masken – allesamt sehr aktuelle Themenfelder –, geht es in der Serie „Beutetiere“ augenzwinkernd auch um sexistische Sprache („Beuteschema“). In den Collagen verschmelzen die schönen Akte aus einem Nudisten-Magazin der DDR mit exotischem Gefieder wie einen Fregattvogel, Adler oder Gerfalke. Faszinierende Zwitterwesen entstehen.

Giftige Farbigkeit

Das Prinzip der Überlagerung von Fotos kommt auch bei Jungs Landschafts- und Naturbildern zum Zug, in denen die mitunter giftig anmutende Farbigkeit eine eigene Stimmung erzeugt. „After Nature“ heißen die besonders eindrucksvollen Naturstudien. Der Titel ambivalent: „After Nature“ kann künstlerisches Arbeiten nach der Natur bedeuten oder auch einen Zustand, wenn die Natur nicht vorhanden ist. Die künstliche Farbigkeit greift prägend in das Foto ein. Da dringt das Kolorit eines Regenbogens ganz tief in den dunklen Dschungel oder wirkt ein Wald im giftigen Licht und blau verfärbten Unterholz entlaubt und tot. Akutes Waldsterben als Folge des Klimawandels? Man möchte diese Interpretation nicht ausschließen, zumal Sabrina Jung ihre Ausstellung „Rethinking Now“ genannt hat, was soviel wie „jetzt neu denken“ bedeutet.

Ob es sich um in ihren Rollenkorsetts gefangenen Personen oder eine Natur geht, die am Limit ist: Jung geht mit ihrer auf den ersten Blick so schick und ästhetischen Fotokunst sehr kontroverse und alarmierende Themen an. Für ihren präzisen Blick insbesondere auf die Natur und einen fast malerischen Umgang mit einer Fotografie, der man nicht hundertprozentig trauen sollte, die vielmehr Überraschungen parat hat, hatte Jung einen guten Lehrmeister. 2001 bis 2007 studierte sie bei Jörg Sasse an der Folkwang Hochschule in Essen. 2020 war sie nominiert für den Stiftungspreis Fotokunst der Alison & Peter Klein Stiftung, im selben Jahr erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg.

Jung hat bereits unter anderem im Sprengel Museum Hannover, dem Kunstmuseum Bonn und im Centre photographique Pôle Image Rouen ausgestellt. Das Kunstmuseum Bonn präsentierte Jungs Porträts in der exzellenten Ausstellung „Mit anderen Augen“ (2016/17).

Galerie Gisela Clement, Lotharstraße 104,; bis 27. November, Mo-Fr 14-18 Uhr. Weitere Informationen unter www.galerie-clement.de

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