Eine neue Sammlung fürs Kunstmuseum Bonn Blick hinter den Eisernen Vorhang

Bonn · Clemens Fahnemann schenkt dem Kunstmuseum Bonn seine Grafik-Sammlung mit Schwerpunkt „Neue Wilde“.

 Bilder bis unter die Decke: Clemens Fahnemann (rechts) und Stephan Berg in der Ausstellung „Schöpferisches Miteinander“.

Bilder bis unter die Decke: Clemens Fahnemann (rechts) und Stephan Berg in der Ausstellung „Schöpferisches Miteinander“.

Foto: Benjamin Westhoff

Plötzlich war sie wieder da, die Malerei, heftiger und wilder als zuvor, unbequem, wahnsinnig bunt, mit entfesseltem Pinselstrich. Wegweisende Ausstellungen hießen „Zeitgeist“ oder „Gefühl und Härte“. Es war ein ungestümer, lauter, aggressiver Aufbruch nach den kopflastigen Minimal- und Konzeptkunstjahren der 1970er: Die 1980er Jahre wurden zum Jahrzehnt einer Revolte in der Kunst, eine Rückkehr in die heiße Zeit des Expressionismus, respektlos unter neuen Vorzeichen und ohne Rücksicht auf das Prinzip Avantgarde.

„Transavanguardia“ nannte man das in Italien, die Österreicher tauften das Phänomen „Neoexpressionismus“, bei den Briten hieß das „New Image Painting“, in Deutschland sagte man „Neue Wilde“, „Neue Heftige“ oder auch „Obsessive Malerei“ dazu. Der Kunstmarkt, auch der internationale, drehte angesichts der neuen deutschen Prächtigkeit durch, Maler wie A.R. Penck, Salomé, Rainer Fetting, Karl Horst Hödicke, Elvira Braun, Jörg Immendorff und etliche andere wurden zu Stars, egal, ob sie nun strenggenommen zu den „Neuen Wilden“ gehörten oder nicht.

Elektrisiert von den „Neuen Wilden“

Kein Wunder, dass ein junger Künstler wie der 1948 bei Münster geborene Clemens Fahnemann, der in Stuttgart und dann an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin studiert hatte und dort 1980 eine Galerie eröffnete, von dieser heftigen Kunst elektrisiert war. Die Ausstellungen „Bildwechsel“ und „Zeitgeist“ animierten ihn zu einem gewagten Projekt: Er, der Experte für die damals völlig unterbewerte Drucktechnik des Siebdrucks, wollte Maler, die gewöhnlich ganz spontan zur Sache gehen, dazu bringen, in dem eher kontrollierten Medium Siebdruck mit Fahnemann, der alle Tricks kennt, an der Seite zu arbeiten. Alle Nuancen der Malerei sollten im Druck erhalten bleiben – eine technische Meisterleistung.

Helmut Middendorf, „Häuserkopf“, 1991.

Helmut Middendorf, „Häuserkopf“, 1991.

Foto: Kunstmuseum/Gunter Lepkowski

Unglaublich, dass alle mitmachten, begonnen mit dem Vater der „Neuen Wilden“, Hödicke. „Bei Fetting, der damals ein Superstar war, musste ich alles Mögliche anstellen, um ihn zu überzeugen“, erzählt Fahnemann in einem Raum des Kunstmuseums Bonn, in dem Hödicke, Fetting, Knoebel, Penck, Bach, Paeffgen und viele andere dicht gedrängt bis unter die Decke hängen.

Von Berlin nach Eitorf

Ein heftiges Jahrzehnt in einem Raum dokumentiert, ein sehr starker Raum, der seine Geschichte hat: Denn der Galerist und Verleger Fahnemann, der vor 15 Jahren von Berlin nach Eitorf zog, hat dem Kunstmuseum Bonn 120 großformatige grafische Arbeiten geschenkt, seine gesamte Sammlung von Grafik-Editionen. Warum Bonn und nicht Berlin? Berlins schlechter Umgang mit Sammlern schreckte ihn ab, „ich bin schwer enttäuscht“. Und es gefiel ihm, dass Kunstmuseums-Intendant Stephan Berg um ihn warb. Außerdem fühlt er sich schon etwas als Rheinländer.

Der 75-Jährige steckt voller Geschichten, immerhin musste er bei den Stars der Kunst Klinken putzen. Wie bei Penck, der gerade, „wie ein Guru umringt von Mitarbeitern“, an einem Wandbild arbeitete. „Komm vorbei“, sagte er Fahnemann. Der wartete, bis Penck alleine war, und fragte ihn wegen des Projekts. „Siebdruck ist Scheiße“, polterte Penck los. „Da habe ich mich in die Ecke geworfen, so wie mein Sohn das in der Trotzphase tat“, erinnert sich Fahnemann. Penck lenkte ein, man verabredete sich in der Druckwerkstatt, Fahnemann machte bei seinem Banker 10 000 D-Mark locker. Als Penck dann kam, lag alles auf dem Tisch bereit: Folien, Blätter, 15 Bleistifte vom härtesten bis zum weichsten und die 10 000 D-Mark. Penck war begeistert, ging zu seinem Galeristen Michael Werner, bei dem er unter Vertrag war, und sagte ihm: „Bei Fahnemann mache ich Schwarzarbeit, einmal im Jahr.“ „Er hat den Siebdruck ausgereizt“, sagt er. Blätter aus dieser sehr produktiven Phase hängen im Kunstmuseum an der Wand. Wilde, impulsive Visionen und Blicke hinter den Eisernen Vorhang, Varianten über den Zusammenbruch der Sowjetunion, über die politische Erosion im SED-Staat, über eine Zukunft, in der der es nur noch autokratische Systeme gibt.

Für Berg ist Fahnemanns Konvolut, das sich in der Ausstellung „wie ein Energieriegel präsentiert“, eine wichtige Ergänzung zu der städtischen Sammlung mit interessanten Anknüpfungspunkten: „Für uns ist das ein Glücksfall.“

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