Buch-Tipp: “Bloodlands“ „Bloodlands“ neu aufgelegt

Timothy Snyders Buch „Bloodlands“ über den Genozid in der Ukraine unter Hitler und Stalin wird mit einem aktualisierten Nachwort neu aufgelegt. Vom aktuellen Krieg ist aber keine Rede.

 Timothy Snyder

Timothy Snyder

Foto: DPA

Im Jahr 2010 war es eines der meistdiskutierten Bücher: Timothy Snyders „Bloodlands“ zeichnete erstmals die Konturen und Details einer der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts im Herzen Europas nach, ein Drama, das sich hauptsächlich auf dem Territorium der Ukraine und den angrenzenden Ländern abspielte und 14 Millionen Zivilisten das Leben kostete. Die Weichen dazu werden in den 20er Jahren gestellt: Zwangskollektivierung nach der abgewürgten Revolution im Osten, unaufhaltsamer Aufstieg der Faschisten im Westen Europas. Zwei Züge rasen aufeinander zu, zermalmen zunächst Polen, Weißrussland, die Ukraine, den Westen Russlands, das Baltikum. „Bloodlands“ nannte der amerikanische Historiker Snyder (52) dieses Gebiet im Herzen Europas, das zum Herzen der Finsternis wurde. Zwei Diktatoren, zunächst bei der Aufteilung Polens als strategische Partner, später als erbitterte Gegner haben dort gewütet: Hitler und Stalin.

Snyder schildert diesen Genozid in einer brillanten, klaren Sprache, bringt die erschütternden Details zusammen, versucht, die ganze Tragödie zu erfassen und konzentriert sich auf eine Region, in der Unfassbares geschah, die „Bloodlands“.

Chance vergeben

Buch-Tipp: “Bloodlands“: „Bloodlands“ neu aufgelegt
Foto: dpa/C.H. Beck Verlag

Als Hintergrund für den laufenden Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine gibt Snyders „Bloodlands“ wichtige Hinweise, es zählt ohnehin trotz der Kritik, die es auslöste, zu den Standardwerken zur Geschichte des Jahrhunderts. Dass es nun in einer 6. überarbeiteten Auflage bei C.H. Beck erscheint, ist ein wichtiger Schritt. Freilich haben Autor und Verlag eine Chance der Aktualisierung vergeben. Denn richtig neu ist nur das Nachwort. Das allerdings hat Snyder vor ziemlich genau einem Jahr geschrieben, am 4. Juli 2021. Fast acht Monate später überfiel Putin den Nachbarn Ukraine, der sich bereits seit mehr als fünf Monaten verzweifelt gegen den Aggressor wehrt.

Also: Kein Pieps zur aktuellen Lage im aktualisierten Nachwort. Ist Snyder verstummt? Ganz im Gegenteil: Er verfasst Aufsätze zum Thema, verbreitet seine Theorien in seinem Blog, ist recht präsent. Vermutlich recherchiert er über „Bloodlands 2“, will aber mit dem zwölf Jahre alten „Bloodlands“ noch einmal Kasse machen? Seine Position ist klar: „Russland hat in diesem Krieg die Phase erreicht, in der es kämpft, weil es peinlich wäre, nicht zu kämpfen“, schreibt er in seinem Blog und vertritt die Ansicht, dass Putin aufgeben sollte: „Putin hat in der Vergangenheit den Eindruck eines guten Spielers gemacht. Ein guter Spieler weiß aber auch, wann er aufgeben muss.“

Und Timothy Snyder ist ein ziemlich gewitzter Spieler.

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