Tanzfestival „WestOff“ Wilde Party kippt ins Absurde
Bonn · Tanzstück „Nachttarif“ der Choreografin Mira Rosa Plikat im Theater im Ballsaal.
Ein unbestimmter urbaner Ort, spärlich beleuchtet von weißen Neonröhren. Drei Figuren werden schemenhaft sichtbar: eine junge Frau, zwei Männer. Auf irgendetwas scheinen sie zu warten, halten Abstand, schauen eine Weile starr ins Publikum, beobachten sich gegenseitig mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen.
Ist ihr nächtliches Zusammentreffen ein Zufall oder eine geplante Begegnung? Sind sie einander vollkommen fremd oder kennen sie sich?
Der pulsierende Rhythmus der Musik von Carl-Noé Struck signalisiert Herzklopfen angesichts der unsicheren Situation. Aggression oder Sympathie – alles erscheint möglich in dieser Konstellation. Alle drei versuchen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, nehmen mit Gesten und Blicken Kontakt auf. Die Körper nähern sich an, stoßen sich ab und reagieren wie elektrisiert.
„Nachttarif“ heißt das Tanzstück der Choreografin, Tänzerin und Malerin Mira Rosa Plikat, geboren 1990 in Essen, mit dem am Dienstag das Festival „WestOff“ im ausverkauften Theater im Ballsaal eröffnet wurde. Strom kann in der Nacht billiger sein, manches wird aber auch teurer. Mit dieser Ambivalenz spielt die zunehmend ins Irreale umschlagende Performance. Der schmale blonde Kilian Löderbusch streift die Schuhe ab.
Halbnackt am Boden
Der kräftige Ken Konishi und die zierliche Mira Rosa Plikat entledigen sich ihrer Oberbekleidung und erscheinen plötzlich in leichten weißen Hosen und grünglänzenden Shirts wie Löderbusch. Scheinbar fixierte Identitäten verschwimmen wie im Rausch, kurz wälzt sich das Trio halbnackt am Boden, Outfits werden getauscht, die Männer imponieren mit akrobatischen Kunststücken. Zwischen innigen Umarmungen posiert man fröhlich zum imaginären Gruppenfoto.
Die wilde Party kippt ins witzig Absurde, wenn die beiden Männer sich zu einem Reittier verbinden, auf dessen Rücken die Frau triumphierend Chips aus einer altmodischen schwarzen Handtasche nascht.
Als kokette Disko-Domina lässt sie sich tragen von den braven Kavalieren, schnappt sich noch zwei weitere Taschen und leert sie lustvoll. Ein verrücktes Spiel mit den Sehnsüchten und Gefahren der Nacht oder ein flüchtiger Traum, der sich nur in den Köpfen der Akteure manifestiert? Ein versponnenes oder zerrissenes Netz aus Beziehungen und Begehren? Nach 45 unterhaltsamen Minuten großer Applaus für das dynamische Trio. Insbesondere für die Choreografin, deren humorvoll leichtfüßige Inszenierung neugierig macht auf weitere originelle Arbeiten.
Nächste Vorstellung im Rahmen des NRW-Theater-Nachwuchs-Festivals „WestOff“ am 1./2. Dezember um 20 Uhr mit dem Live-Hörstück „Am Sonntag essen wir friedensmäßigen Streuselkuchen“ des jungen Ensembles „Shocking True“. Diese Produktion entstand im Bonner Theater im Ballsaal. Weitere Infos unter www.theater-im-ballsaal.de