Buchtipp "Das brennende Mädchen" blickt auf Scherben einer Freundschaft

Bonn · Claire Messuds vielschichtiger Roman „Das brennende Mädchen“ spürt einer zerbrechenden Beziehung nach

„Was ist mit uns passiert?“ fragt Julia irgendwann ihre einst beste Freundin Cassie. Doch in Claire Messuds Roman „Das brennende Mädchen“ gibt es darauf keine Antwort. Dennoch seziert die in Amerika lebende Frankokanadierin hier die Mikrokatastrophe einer zerbrechenden Beziehung mit lupenscharfer Präzision.

Da gab es zwei Jahre zuvor jenen „Zwillingssommer“, „in dem es uns nicht im Traum eingefallen wäre, das wir nicht auf immer und ewig Freundinnen bleiben würden“. Man verträumt träge Tage am gefluteten Steinbruch, in dem angeblich ein Junge ertrunken war. Oder man bricht in die verfallene Bonnybrook-Nervenklinik ein und malt sich die Schicksale der ehemaligen Insassen aus. Kein Blatt Papier passt da zwischen die beiden Mädchen – obwohl Julia aus einer intakten Akademikerfamilie stammt, während Claire von ihrer kontrollsüchtigen Mutter Bev eher behindert als gefördert wird.

Mag sein, dass schon diese lange überspielte Milieuschwelle das schleichende Zerwürfnis begünstigt. Zumal Bev sich mit dem seltsam verklemmten Anders Shute einen Mann ins Haus holt, von dem nie so ganz klar wird, ob er nicht eigentlich auf die Tochter schielt. Julia wird später klar, dass sie und Cassie dieselben Worte lange in der naiven Gewissheit benutzt haben, dass sie für beide dasselbe bedeuten. Was für den Begriff „zuhause“ aber gewiss nicht galt.

Claire Messud („Des Kaisers Kinder“) geriert sich hier nicht als allwissende Psychoanalytikerin, sondern sie sammelt Indizien. So zeigt sie, wie „die Qualen und Peinlichkeiten der Pubertät“ die Entfremdung befeuern. Plötzlich sickert das Gift der Konkurrenz in die Freundschaft ein. Cassie schnappt sich den Jungen, den Julia gern hätte, findet Unterschlupf in einer coolen Clique. Doch die Triumphe welken schnell.

Zumal es Julia in den Debattierclub der Schule schafft und den eher trüben Perspektiven ihrer (Ex) Freundin nicht ohne Häme die eigenen Vorzüge gegenüber stellt: „bessere Noten, besseres Haus, mehr Busen, mehr Anstand“. All dies setzt die Autorin in die vordergründig idyllische, aber auch erstickend enge Kulisse der Kleinstadt Roxton/Massachusetts.

Stiller Vorwurf an die abtrünnige Außenseiterin

Julias Ich-Erzählerstimme klingt immer besonnen, manchmal fatalistisch-abgeklärt. Sie gewinnt jedoch neue Dringlichkeit, als Cassie plötzlich auf der Suche nach ihrem vermeintlich toten Vater verschwindet. Wieder fängt Messud die Stimmung in Roxton seismographisch ein, diese Mixtur aus Sorge um und stillem Vorwurf an die abtrünnige Außenseiterin. Der würde man wohl nur bei einem tragischen Ausgang der Ereignisse verzeihen.

Den Gefallen einer derart simplen Lösung aber tut das Buch weder seinen Figuren noch den Lesern. Es bleiben, wie im „wirklichen“ Leben, viele offene Enden. Doch ein feineres Ohr für die Dissonanzen gemischter Gefühle findet man selten.

Claire Messud: Das brennende Mädchen. Roman, deutsch von Monika Baark. Hoffmann & Campe, 253 S., 20 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCamp Neue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Klangmagierin hinter ihrem Perkussions-Arsenal: Marilyn Mazur
Zwischen Avantgarde und Party
Jazzfest Bonn im PantheonZwischen Avantgarde und Party
Aus dem Ressort