Die Muskelspiele sind eröffnet Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt „Rubens & Co.“

Köln · Eine ganze Reihe von Zeichnungen dokumentiert die Faszination von Rubens für das antike Meisterwerk. Der Grund: Eine Spektakuläre Entdeckung im Wallraf-Richartz-Museum.

 Jacques de Gheyn: „Der Tod des Lucius Annaeus Seneca“.

Jacques de Gheyn: „Der Tod des Lucius Annaeus Seneca“.

Foto: Wallraff

Diese Kraft, Emotion und Durchdringung von Körpern, diese Dramatik und dieser Schmerz – und dann diese top-definierten Bodybuilder-Körper: Als die antike Laokoon-Gruppe im Januar 1506 von Felice de Fredis in seinen Weinbergen auf dem Esquilin im Osten Roms entdeckt wurde, herrschte helle Aufregung. Michelangelo und Giuliano da Sangallo gehörten zu den ersten Prominenten, die die prächtige Gruppe begutachteten, die den trojanischen Priester Laokoon im Todeskampf mit seinen Söhnen zeigt. Im März bereits wurde Papst Julius II. Besitzer des antiken Fundstücks. In der Welt der Renaissance wird die Laokoon-Gruppe zum Inbegriff des neuen Körperideals, unzählige Künstler arbeiten sich daran ab.

Als der in Siegen geborene und in Köln aufgewachsene flämische Malerstar Peter Paul Rubens rund hundert Jahre nach dem spektakulären Fund die Laokoon-Gruppe in den vatikanischen Gärten sieht, ist auch er elektrisiert.

Eine ganze Reihe von Zeichnungen dokumentiert diese Faszination des Flamen für das antike Meisterwerk. Mit klaren Umrissen und feinen Schraffuren arbeitet er das plastische Schauspiel der Muskeln heraus, geht er den Verschlingungen der Körper und mörderischen Schlangen nach, erfasst die ungeheure Dynamik und Spannung dieser Gruppe. Wiederum rund 400 Jahre später die nächste Entdeckung, diesmal im Wallraf-Richartz-Museum: In einem Konvolut von Blättern, das außerhalb der musealen Systematik lag und an dem lange kein Forscher mehr gearbeitet hatte, finden sich drei Rubenszeichnungen. Neben einem Laokoon-Blatt zwei Studien eines gezähmten Kentauren, auch die entstanden in Rom nach einer antiken Skulptur.

Roter Faden ist die Beschäftigung der Barockkünstler mit der Antike

Das Laokoon-Blatt und ein Kentaur im Profil sind die Stars in der aktuellen Schau der Graphischen Sammlung, die zwar „Rubens & Co. Zeichnende Meister aus Flandern“ heißt, aber als roten Faden die Beschäftigung der Barockkünstler mit dem Erbe der Antike hat. In vielen Beispielen weist Thomas Ketelsen, Leiter der Graphischen Sammlung, nach, wie Motive aus der antiken Welt immer wieder auftauchen und variiert werden. Und wie dominant Rubens als Impulsgeber war.

Seine Zeichnungen gehörten zum Motivfundus für seine Werkstatt. Und seine Gemälde dienten wiederum anderen Meistern als Anregung. Ein kreativer Motivtransfer war in der Barockzeit gängiger Brauch. Wunderbar schlägt die Grafikschau eine Brücke zur in Teilen neu sortierten Abteilung der barocken Gemälde im Wallraf. Da findet man den Laokoon-Körper quasi gekippt wieder als Argus im mächtigen Rubens-Gemälde „Juno und Argus“ von 1610. Und ein auf einer antiken Fischerfigur basierender sterbender Seneca in der Grafikabteilung erlebt als Motiv in der Gemäldeschau seine künstlerische Wiedergeburt: in einer Darstellung des Christus von Pieter van Mol (1640). Die Parallelen sind verblüffend.

Einige Schritte weiter hängen zwei Kölner Rubens-Prachtstücke, die „Stigmatisation des Hl. Franziskus“ und die „Heilige Familie“. Im Kabinett findet man die beiden Gemälde wieder, als Kupferstiche nach Rubens, daneben Ernst Thelotts Stich nach Rubens' „Kreuzigung des Hl. Petrus“. Der kopfunter hängende, muskelbepackte Heilige könnte aus einem antiken Helden- und Götterkosmos stammen.

Ein Altar für Bonn: Das Ende des barocken Pathos

Die kleine, feine Abteilung „Rubens in Köln“ wird von einem Originalbrief von Rubens von 1638 gekrönt, in dem er über den Auftrag der Kölner Familie Jabach für den Altar in St. Peter schreibt. Er habe die Hoffnung, „es werde eines der besten Bilder werden, die bisher meine Hand geschaffen hat“.

Mit rund zwei Dutzend Papierarbeiten und dem Hinweis auf etliche Gemälde in der Sammlung zeichnet die Ausstellung die Beschäftigung mit einem raumgreifenden, sinnlichen und vitalen Körperkult nach, der unter anderem motivische Wurzeln in der Antike hat. Aber die Schau spricht auch das Ende dieses von Rubens geprägten Stils an. Der belgische Klassizist Englebert Fisen hielt nichts von dramatischen Effekten und schwellenden Körpern. Sein Hochaltarbild mit einem Blick in Josefs Werkstatt für die Schlosskapelle in Bonn (1702), von dem eine Vorzeichnung in der Kölner Schau zu sehen ist, atmet pure Sachlichkeit und Askese. Allein im wolkigen Himmel ballt sich noch barockes Pathos.

Wallraf-Richartz-Museum, Köln; bis 9. September. Di bis So 10-18 Uhr

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